Spielbeurteilung

Kapital: Sparks of Revolution

21.08.2023
In der historischen Städtebausimulation sind wir als Bürgermeister oder Bürgermeisterin mit Konflikten zwischen dem Adel, dem Bürgertum und der Arbeiterschaft nach dem Ersten Weltkrieg konfrontiert.
Vor dem Spiel können wir zwischen den Spielmodi Sandbox und Kampagne und innerhalb der Kampagne zwischen drei Schwierigkeitsgraden wählen. Im Intro wird als Hintergrundstory das Ende des Ersten Weltkriegs aufgerufen, ohne dass dieser Krieg konkret erwähnt würde. Die Kampagne beginnt in den Überresten einer zerstörten Stadt, die überall in Europa liegen könnte. Wir müssen uns als Bürgermeister oder Bürgermeisterin um den Wiederaufbau kümmern.

Das Intro führt uns in die Situation nach einem großen Krieg ein.

Unsere erste Aufgabe besteht darin, zerstörte Gebäude abzureißen, um Platz und Rohstoffe zu erhalten. Wir müssen nach und nach die Infrastruktur aufbauen. Insbesondere der Palast, der wohl noch aus der Monarchie übriggeblieben ist, und der Bahnhof müssen anfangs repariert werden. Erst danach kommt die Dynamik des Spiels ins Rollen und wir müssen die Zufriedenheit der verschiedenen Bevölkerungsgruppen mit immer weiteren, zunehmend schwierigeren Anforderungen sicherstellen.

Zunächst müssen wir unsere Stadt von Trümmerhaufen befreien. Der Abriss geht schnell und verschafft uns Rohstoffe.

Spielziel


Die zentrale Herausforderung des Spiels besteht darin, die Balance zwischen den Interessen der drei in der Stadt vertretenen Gruppen Adel, Bürgertum und Arbeiterschaft zu finden. Entscheidend für die Zufriedenheit der Fraktionen ist dabei die Befriedigung der Bedürfnisse Ernährung, Gesundheit und Unterhaltung.

Sind die Einwohnerinnen und Einwohner unzufrieden, leidet deren Loyalität zu unserer Herrschaft und sie beginnen zu demonstrieren. Können wir die Demonstrierenden nicht besänftigen oder den Aufstand mit der Polizei niederknüppeln, stürmen unsere Bewohnerinnen und Bewohner mit Molotov-Cocktails auf den Palast zu.

Wir müssen lange genug die Interessen der drei Gruppen wahren, um in eine Situation zu kommen, in der wir uns für eine von drei möglichen Regierungsformen entscheiden. Danach muss die Stadt noch eine Zeit lang ihre Stabilität beweisen und die Kampagne endet erfolgreich. Leider ist nicht ganz klar, welche Bedingungen genau zur Niederlage der Kampagne führen. Das Spiel endet in diesem Falle sehr abrupt und ohne klare Erklärung.

Die möglichen Regierungsformen spiegeln die Interessen der drei Fraktionen in der Stadt wider. Der Adel möchte eine konstitutionelle Monarchie, die Bürgerlichen einen Freistaat und die Arbeiterschaft eine Volksrepublik errichten.

Spielmechanik


Als Rohstoffe kommen im Spiel zu Beginn Getreide, Nahrung, Holz, Gold und Alkohol vor. Später kommen noch Ziegel dazu. Holz produziert die Arbeiterschaft in Sägewerken, die wir – wie die meisten Gebäude – aus Holz und Gold bauen müssen. Die Arbeiterinnen und Arbeiter müssen dafür einen Lohn erhalten.

Dem Bahnhof kommt im ganzen Spiel eine besondere Rolle zu, weil er die Versorgung mit Getreide sicherstellt. Daraus produzieren die Arbeiterinnen und Arbeiter in Fabriken Nahrungsmittel und Alkohol. Beides wird über Tavernen, Kneipen, Varietés, Restaurants und so weiter an die Bevölkerung verteilt, damit deren Bedürfnisse erfüllt werden. Dafür zahlt die Bevölkerung mit Gold.

Eine Besonderheit in Kapital: Sparks of Revolution besteht in der strikten Trennung der verschiedenen Fraktionen. Nicht nur die Ernährungs- und Unterhaltungsgebäude, sondern auch die Wohngebäude sind entsprechend getrennt. Die Gruppen gehen jeweils auch nur ihren zugedachten Arbeiten in der Stadt nach. Adlige und Bürger können dieselben Gebäude nutzen, die Arbeiterschaft hat ihre eigenen lumpigen Kaschemmen. Die Adligen besetzen Stellen in öffentlichen Einrichtungen wie dem Polizeipräsidium oder dem Krankenhaus, das Bürgertum arbeitet nur in Handelsgebäuden.

Die Berater im Spiel treten mit ausführlichen Dialogen auf, in denen Sie uns ihre Sichtweise darlegen und unsere Entscheidungen zuweilen beeinflussen wollen.

Die Erzählung innerhalb der Kampagne führt uns durch den Wiederaufbau unserer Stadt. Dabei werden immer wieder neue Bereiche freigeschaltet. Wir müssen Verordnungen erlassen, forschen, Steuern vom Bürgertum eintreiben, ein Gesundheitssystem und verschiedene Sicherheitsbehörden aufbauen. Die dadurch freigeschalteten Funktionen werden über Geschichten eingebunden, die uns durch die Dialoge mehrerer Berater nahegebracht werden. So müssen wir zum Beispiel mit Polizei und Geheimdienst Morde aufklären oder mit der Forschungseinrichtung und dem Krankenhaus Epidemien bekämpfen.

Ereignisse kommen immer wieder im Spielverlauf vor. Wir müssen bei Konflikten zwischen den drei Gruppen in der Stadt entscheiden. Dadurch verändern sich die Loyalitätswerte der jeweiligen Gruppen.

Historischer Hintergrund


Das Spiel „Kapital: Sparks of Revolution“ ist historisch lose um die Zeit der russischen Revolution bzw. um das Ende des Ersten Weltkriegs angesiedelt. Der Titel bezieht sich vermutlich nicht auf das „Kapital“ von Karl Marx, sondern ist eine Abwandlung des englischen Wortes „capital“ für Hauptstadt. Kurz zuvor hatte der Publisher das Spiel „Realpolitiks“ herausgebracht, dessen Titel auf ähnliche Art mit dem Konsonanten spielt.

Im Spiel selbst wird der Ort des Geschehens offengelassen, es könnte sich um jede stark zerstörte Stadt in den am Ersten Weltkrieg beteiligten Staaten in Europa handeln. Dennoch liegt es nahe, das Spiel vor allem auf die Situation Russlands zu beziehen. Die ständige Auseinandersetzung zwischen Adel, Bürgertum und Arbeiterschaft zieht sich durch das ganze Spiel. Genau diese Gruppen führten in Russland bis zur Gründung der Sowjetunion 1922 miteinander Bürgerkrieg.
Matthias Engel
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Pädagogische Beurteilung:

Der pädagogische Wert des Spiels findet sich vor allem in den Dialogen zwischen den Beratern, welche die Konflikte zwischen den Bevölkerungsgruppen stellvertretend austragen. Deren verbissenen und humorvollen Debatten machen vor allem Spielenden mit entsprechendem Hintergrundwissen Spaß. Hier zeigen sie die Interessenskonflikte der damaligen Zeit in einem originellen Format auf.

Dialoge als Lernanlass


Kapital: Sparks of Revolution ist zu umfangreich und komplex, um im zeitlichen Rahmen einer Unterrichtsstunde gespielt werden zu können. Für einen Durchgang muss man selbst ohne intensives Lesen der Dialoge mehrere Stunden einplanen. Selbst für umfangreichere pädagogische Einheiten lässt sich das Spiel allenfalls in Ausschnitten einsetzen. Denkbar wäre, die Dialoge im Spiel als Einstieg im Geschichts-, Sozialkunde- oder Politikunterricht zu nutzen. So diskutieren die Berater zum Beispiel eine Verordnung, nach der die Friedhofskosten privatisiert werden. Das Bürgertum findet diese Einnahmequelle für den Staat naheliegend, die Arbeiter wollen dagegen, dass der Staat solche Dienste übernimmt. Die dabei genutzten Argumente haben teilweise bis heute ihre Gültigkeit und können auch Anschlüsse für Themen wie Sozialstaat oder das Verhältnis von Staat und Bevölkerung liefern.

Kein ideologischer Fokus in Richtung Sozialismus


Der Titel lässt durch die historisch aufgeladenen Begriffe „Kapital“ und „Revolution“ einen ideologischen Fokus in Richtung Sozialismus vermuten. Diese Vorannahme erweist sich jedoch schnell als unbegründet. Das bevorzugen einer der drei Fraktionen führt nämlich schnell zum Game Over. Nachdem man über einen Großteil der Spielzeit hinweg vor allem auf die Balance der verschiedenen Interessen achten muss, entscheidet man sich zwar für eine der von den Bevölkerungsgruppen bevorzugten Gesellschaftsformen, aber selbst dann muss man anschließend noch eine gewisse Zeit den Frieden wahren, um das Spiel schlussendlich zu gewinnen. Das Spielziel ist also eine Stabilisierung der Gesellschaft, wobei alle drei Möglichkeiten dazu gleichwertig nebeneinanderstehen. Dadurch, dass es um die Balance und Stabilisierung, teilweise auch mit Kompromissen geht, lässt sich das Spiel auch als Blaupause für demokratische Aushandlungsprozesse verstehen.

Mäßige audiovisuelle Gestaltung


Die Spielmechanik hat durch das Einbinden der historischen gesellschaftlichen Konflikte eine gewisse Einzigartigkeit. Zwar kennt man diese Idee auch zum Beispiel aus der Anno-Reihe, in Kapital: Sparks of Revolution ist dieses Thema jedoch noch wesentlich präsenter, weil es nicht nur eine historische Kulisse ist. Bei Anno werden die einfachen Hütten nach und nach durch das Erfüllen bestimmter Bedürfnisse zu Herrenhäusern, in Kapital: Sparks of Revolution bleiben die Bewohnerinnen und Bewohner in ihrer jeweiligen Schicht. In vielerlei Hinsicht erinnert das Spiel an den Titel „Frostpunk“. Dieser ist genretechnisch sehr ähnlich. Auch dort muss man eine kleine Gesellschaft durch eine Krisensituation navigieren. Kapital: Sparks of Revolution reicht aufgrund seiner mäßigen audiovisuellen Gestaltung atmosphärisch jedoch bei Weitem nicht an das postapokalyptische Survival-Aufbauspiel aus dem Jahr 2018 heran.

Fazit:

Spielbar ist Kapital: Sparks of Revolution schon ab zwölf Jahren, weil die Spielmechanik auch ohne großes historisches Wissen seinen Reiz hat. Für Bildungsarbeit ist das Spiel jedoch nur fruchtbar, wenn die Zielgruppe entsprechendes Vorwissen mitbringt.

Im Unterschied zu anderen Städtebausimulationen konzentriert sich Kapital: Sparks of Revolution besonders auf die Konflikte zwischen den historischen Bevölkerungsgruppen Adel, Bürgertum und Arbeiterschaft. Der Funke springt nur dann richtig über, wenn Spielende sich an den historischen Debatten in den Dialogen erfreuen können und eingefleischte Städtebauer/-innen sind.
Matthias Engel
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Bildnachweise

[1]Kapital: Sparks of Revolution / Fulqrum Publishing / Screenshot[2]Kapital: Sparks of Revolution / Fulqrum Publishing / Screenshot[3]Kapital: Sparks of Revolution / Fulqrum Publishing / Screenshot[4]Kapital: Sparks of Revolution / Fulqrum Publishing / Screenshot[5]Kapital: Sparks of Revolution / Fulqrum Publishing / Screenshot[6]Kapital: Sparks of Revolution / Fulqrum Publishing / Screenshot[7]Valiant Hearts 2: Coming Home / Ubisoft / Screenshot[8]Help Will Come Tomorrow / Klabater / steampowered.com[9]11-11 Memories Retold / Bandai Namco Entertainment / Screenshot