Spielbeurteilung

Valiant Hearts: Coming Home

06.04.2023
In „Valiant Hearts: Coming Home“ erleben wir die letzten Jahre des Ersten Weltkriegs aus der Perspektive von vier spielbaren Charakteren. Verstrickt in den Strudel der historischen Ereignisse, versuchen sie den Krieg zu überleben.
„Valiant Hearts: Coming Home“ ist der Nachfolger von „Valiant Hearts: The Great War“. Wie beim Vorgänger handelt es sich um ein 2D-Abenteuer in Comic-Optik mit Puzzle- und Adventureelementen, das im Ersten Weltkrieg angesiedelt ist. Die Spielhandlung erstreckt sich vom Jahr 1917 bis zum Kriegsende im November 1918. Im Zentrum des Spiels steht die Geschichte des 15. Regiments der New Yorker Nationalgarde, besser bekannt als „Harlem Hellfighters“, das hauptsächlich aus Afroamerikanern bestand.
Der Sanitätshund Walt gehorcht auf Befehle. Eine Sprechblase weist auf eine unerledigte Aufgabe hin.

Das in drei Kapitel und 19 Episoden gegliederte Spiel (Spielzeit ca. 2,5 Stunden), wird nicht vollkommen linear erzählt. Die „Maas-Argonnen-Offensive“ (September bis November 1918, nördlich von Verdun) markiert Anfangs- und Endpunkt der Spielhandlung. Das eigentliche Spiel beginnt mit der Geschichte des afroamerikanischen Rekruten James, dessen Bruder Freddie – der aus Teil eins bekannt ist und den wir im Verlauf des Spieles ebenfalls treffen – bereits an der Front kämpft. Hier zeigt sich: Personen und Ereignisse aus dem ersten Teil werden als bekannt vorausgesetzt, was den Einstieg ins Spiel erschweren kann. Jedes Kapitel ist in mehrere Episoden unterteilt, in deren Verlauf wir die anderen spielbaren Charaktere kennenlernen. Die belgische Sanitäterin Anna mit dem Sanitätshund Walt spielte schon in Teil eins eine wichtige Rolle, während der deutsche Matrose Ernst, ebenso wie James, erstmals auftritt.

Spielmechanik
Die Kapitel und Episoden entfalten sich entlang historischer Ereignisse wie der „Skagerrakschlacht“ (Seeschlacht, Mitte 1916) oder der „Maas-Argonnen-Offensive“. Jedes Kapitel und die meisten Episoden werden von kurzen englischsprachigen, animierten Filmsequenzen eingeleitet. Untertitel stehen in 17 Sprachen zur Verfügung. Kriegsschauplätze und Truppenbewegungen werden innerhalb der Animationen auf Karten verortet. In den Episoden selbst helfen wir James, Ernst, Anna und George, Probleme durch das Sammeln von Gegenständen und das Lösen einfacher Puzzles zu bewältigen.
Die blaue Hinweisgrafik zeigt, wie die Spielmechanik ‚Auf-ein-Hindernis-Klettern‘ funktioniert.

Neben der Bewegung des Spielcharakters ist das Werfen und Interagieren mit Gegenständen möglich, wobei mögliche Interaktionspunkte aufblinken. Jede neue Mechanik wird durch eingeblendete Hinweisgrafiken erklärt. Diese Erklärungen können später auch in den Einstellungen abgerufen werden. Abgesehen von den Filmsequenzen gibt es keine Sprachausgabe, sondern nur un- oder halbverständliche Wortfetzen. Dem Comicstil entsprechend werden daher Aufgaben oder Aufträge von Nichtspielercharakteren gut verständlich durch Icons in Sprechblasen vermittelt.

Die Rätsel sind durchweg recht simpel, etwas Abwechslung bietet der in einigen Episoden spielbare Sanitätshund Walt, der über ein einfaches Menü gesteuert wird. Statt mit Trophäen werden wir für das Abschließen von Spielabschnitten mit Hintergrundinformationen und Tagebucheinträgen belohnt. Darüber hinaus sammeln wir passend zu den jeweiligen Episoden historische Gegenstände, über die im Menü Informationen abgerufen werden können.
Die späteren Kriegsgegner Ernst und James spielen gemeinsam in einer improvisierten Band.

Atmosphärisch ist das Spiel etwas unausgewogen, denn die ernsten Spielinhalte wollen nicht immer zu den teils fröhlich-slapstickhaften Aufgaben passen. In seinen besten Momenten schafft es „Valiant Hearts: Coming Home“, die Spielinhalte gerade durch die Spielmechanik erfahrbar zu machen. Das gelingt hervorragend in Episode sechs. Hier werden die Spielenden nach einer genretypischen Schatzsuche in einem Schiffswrack unvermittelt mit einer Seeschlacht konfrontiert. Ernst versucht die Ertrinkenden zu retten, indem er ihnen Rettungsringe zuwirft. Letztlich bleibt er damit jedoch erfolglos. Da die Charaktere im Spiel immer nur einen Interaktionsgegenstand bei sich tragen können, entsteht Zeitdruck angesichts der sich ständig vermehrenden Zahl der Ertrinkenden. So wird für die Spielenden das Gefühl der Hilflosigkeit angesichts der verheerenden Kriegsereignisse fassbar.
Ernst muss sich entscheiden, welchem Ertrinkenden er zuerst einen Rettungsring zuwirft.


Anmerkung der Redaktion: Die zuerst veröffentlichten Spielversionen für Android und iOS setzen ein Netflix-Abo voraus. Seit dem 7. März 2024 ist das Spiel zusätzlich mit direkter Kaufoption für PC, Xbox One/Series, PlayStation 4 und Nintendo Switch verfügbar.
Juliane Lippok
Dieses Spiel wurde getestet von:

Pädagogische Beurteilung:

Das Spiel eröffnet verschiedene Perspektiven auf den Ersten Weltkrieg und fördert so das Verständnis für die Motivationen und Handlungen der Menschen in dieser Zeit. Es kann als pädagogisch motiviertes Antikriegsspiel bezeichnet werden. Die verschiedenen Wirkungen des Ersten Weltkrieges werden jedoch differenziert betrachtet. So wird trotz der generell negativen Wertung des Krieges beispielsweise darauf hingewiesen, dass die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht in den USA teils zu einer positiveren Wahrnehmung von Afroamerikanern führte, da auch sie nun am Krieg teilnehmen und zu Kriegshelden werden konnten.

Wurde das Vorgängerspiel „Valiant Hearts: The Great War“ vorrangig aus französischer Sicht erzählt, dominiert im zweiten Teil eine amerikanische Perspektive. Eine zusätzliche Perspektive wird dadurch eröffnet, dass mit dem Seemann Ernst auch ein Deutscher als spielbarer Charakter zur Verfügung steht. Er ist im Verlauf des Spiels gezwungen, in den Kriegsdienst einzutreten. In der Geschichte um Ernst und James wird anschaulich gezeigt, welche Zwänge den Kriegsalltag bestimmen können, da hier aus Freunden Kriegsgegner werden. Generell unterstreicht das Spiel den Wert von Freundschaft und Altruismus, um Krisen zu meistern. Ein Kritikpunkt ist die im Spiel durchweg mutige bis heroische Handlungsweise der Charaktere. Damit wurde die Chance vertan, die gerade mit dem Ersten Weltkrieg verbundenen Traumatisierungen zu thematisieren. So sind beispielsweise die sogenannten Kriegszitterer, an posttraumatischen Belastungsstörungen leidende und häufig stigmatisierte Soldaten, nur als Randfiguren in einer Krankenstation zu sehen.

Eine Verbesserung gegenüber dem Vorgänger ist die zwar comic- aber nicht klischeehafte Darstellung der kriegführenden Parteien. Die Perspektiven der Befehlshaber, die zu einem vollständigen Bild des Ersten Weltkriegs aus Sicht der Beteiligten dazugehört hätten, werden aber weiterhin ausgeblendet, eventuell um eine Identifikation mit diesen zu vermeiden. Durch die im Spiel bereitgestellten Hintergrundinformationen ergeben sich Verknüpfungsmöglichkeiten mit lehrplanrelevanten Inhalten. Auch der geringe Schwierigkeitsgrad und die Kürze der Episoden, die alle in etwa zehn Minuten abgeschlossen werden können, erleichtern den Einsatz in der pädagogischen Arbeit. Der geringe Schwierigkeitsgrad stellt einerseits keine Hürde dar, kann andererseits aber auch Langeweile hervorrufen. Zudem kann die Fülle der gleich zu Anfang ergänzend bereitgestellten Informationen abschreckend wirken. Wie bei vielen Serious Games stehen die Spielinhalte und nicht das Spielerlebnis im Mittelpunkt.

Sehr ansprechend ist dagegen der Comicstil der Spielgrafik. Gewaltdarstellungen werden dadurch entschärft, aber nicht verharmlost. Der Comicstil ermöglicht es den Spielenden auch, eine emotionale Distanz zur Spielhandlung beizubehalten. Zu den ergänzend bereitgestellten Informationen gehören Fotos, die wiederum das Bewusstsein dafür schärfen, dass das Spielgeschehen einen Bezug zu realen Ereignissen hat. Weder die Originalfotos noch die zusammenfassenden Texte zu Themen wie Frauenarbeit oder unbekannten Soldaten sind mit Quellenangaben versehen. Das ist schade, da so die Informationen schwerer geprüft und auch nicht für die quellenkritische Arbeit beispielweise im Schulunterricht genutzt werden können. In jedem Fall ist Vorwissen zum Ersten Weltkrieg nötig, um die Handlung vollständig zu verstehen. Das Spiel ist aufgrund der zurückhaltenden und einfachen Erzählweise, die auf aggressive Gewaltdarstellungen verzichtet, ab zwölf Jahren spielbar. Wiederkehrende Auftritte des tierischen Begleiters Walt erleichtern darüber hinaus den Umgang mit belastenden Spieleinhalten. „Valiant Hearts: Coming Home“ kann unbegleitet gespielt werden.

Anwendungsbeispiel für den Schulunterricht
Im Geschichtsunterricht könnte eine ausgewählte Episode mit Lehrplanbezug als Hausaufgabe oder in Kleingruppen gespielt werden. Zusätzlich werden als Arbeitsauftrag Fragen zum Spiel gestellt. Diese sollten so formuliert sein, dass sie nicht allein durch die Spielhandlung beantwortet werden können, sondern nur, wenn auch die gesammelten Gegenstände und Hintergrundinformationen einbezogen werden. In diesem Fall besteht die Spielmotivation darin, wie auf einer Schnitzeljagd alle Puzzleteile zur Beantwortung der Fragen zu finden. Im Unterricht können die gesammelten Fakten in größere Zusammenhänge eingeordnet werden. Dazu können gut Episode 1 und 2 genutzt werden, da sie das zentrale Thema des Spiels, die Einführung der Wehrpflicht in der USA und die Folgen für Afroamerikaner behandeln.

Fazit:

Das 2D-Abenteuer „Valiant Hearts: Coming Home“ ermöglicht mit seiner sensibel und multiperspektivisch erzählten Geschichte einen niedrigschwelligen Zugang zum Thema Erster Weltkrieg. Etwas Vorwissen vorausgesetzt, eignet es sich zum Einsatz in der Schule.
Juliane Lippok
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Bildnachweise

[1]Valiant Hearts 2: Coming Home / Ubisoft / Screenshot[2]Valiant Hearts 2: Coming Home / Ubisoft / Screenshot[3]Valiant Hearts 2: Coming Home / Ubisoft / Screenshot[4]Valiant Hearts 2: Coming Home / Ubisoft / Screenshot[5]Valiant Hearts 2: Coming Home / Ubisoft / Screenshot[6]11-11 Memories Retold / Bandai Namco Entertainment / Screenshot[7]Ubisoft / Valiant Hearts / Screenshot[8]Svoboda 1945 / Charles Games / Screenshot by spielbar.de

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