Interview mit Entwickler von „Dirty Split“

Independent Games als Ideenlieferanten

27.11.2008
Kostenlose Independent Games sorgen für reichlich Aufsehen. Doch woher kommen die kreativen Ideen und wie werden sie umgesetzt. spielbar sprach mit dem unabhängigen Entwickler Uwe Sittig über sein aktuelles Spiel, seine Beweggründe und die künftige Bedeutung der Indie-Games-Szene.

Uwe Sittig kennt die Szene sehr gut, denn unter dem Label „Dreamagination“ ist er selbst aktiv. 2008 hat er mit dem Adventure „Dirty Split“ sein erstes Werk veröffentlicht. Die Kriminalgeschichte spielt in den 60er Jahren und zählt aufgrund von Spieldauer und Schwierigkeitsgrad zu den Casual Games. Bei Dreamagination kann „Dirty Split“ kostenlos heruntergeladen werden. Weitere Adventurespiele sind in Planung. Der spielbar-Redaktion stand Uwe Sittig gerne für Fragen zur Verfügung.

spielbar: Hallo Herr Sittig, Sie haben Mitte des Jahres das Spiel „Dirty Split“ veröffentlicht, ein klassisches Point&Click-Adventure. Worum geht es in dem Spiel und was ist das Besondere daran?

Uwe Sittig: Dirty Split handelt von einem Privatermittler in den 60ern, der die wahren Hintergründe eines Mordes aufzuklären versucht, dabei viel herumkommt und allerhand skurrilen Personen begegnet. Das Besondere daran ist der Stil des Spiels: Aus erfrischend klaren, einfachen Formen und leuchtenden Farben entsteht eine sehr elegante Version der 60er, und der lässige Jazz-/Lounge-Soundtrack tut ein Übriges, um den Spieler in die Welt der Jetsetter einzusaugen. Darüber hinaus ist es für ein kostenloses Independent Game ungewöhnlich, dass sämtliche Dialoge vertont sind – noch dazu von Profisprechern.

spielbar: Wie kamen Sie auf die Idee zu „Dirty Split“, wodurch wurden Sie inspiriert? Und was war nötig, um Ihre Idee letztendlich auch umzusetzen?

Uwe Sittig: Die größte Inspiration waren die Gemälde von Josh Agle bzw. 'SHAG'. SHAG ist ein kalifornischer Künstler, der aus der Werbekunst der 50er und 60er seinen ganz eigenen, unverkennbaren Stil entwickelt hat. Jedes seiner Kunstwerke erzählt eine eigene Geschichte und versprüht eine Unmenge an Stil und Eleganz. Ich liebe diese Art von Kunst und wollte schlichtweg herausfinden, wie eine spielbare, animierte Version dieser Welt aussehen könnte.

Szene aus Dirty Split

Von der Idee zum fertigen Spiel ist es dann ein weiter Weg: Nachdem das Grundscript fertig war, mußten sämtliche Hintergründe und Animationsstufen gezeichnet werden. Die über 2000 Dialogzeilen des Spiels wurden von professionellen Sprechern vertont, während Matthew Brown (der Komponist) immer wieder einzelne Stücke des Soundtracks schickte und veränderte. Schlussendlich wurden alle Räume, Figuren, Animationen, Musikstücke und Tonschnipsel in eine Entwicklungsumgebung geladen und durch Aktionsscripte verknüpft, woraus dann ein spielbarer Prototyp entstand. Glücklicherweise hat die Verwendung der WintermuteEngine die Programmierung sehr vereinfacht. Viele unterschätzen den Aufwand und die Kosten, die die Entwicklung einer eigenen Engine verschlingt, und ich wollte das Rad nicht neu erfinden. Der gesamte Entwicklungsprozess hat ohnehin ungefähr 7 Monate verschlungen.

spielbar: Das Ergebnis kann sich sehen lassen. „Dirty Split“ hinterlässt auf uns einen gelungenen und durchaus professionellen Eindruck. Dennoch verlangen Sie kein Geld für Ihre Arbeit, sondern bieten das Spiel zum kostenlosen Download an. Was ist ihre Motivation?

Uwe Sittig: Vielen Dank. Ein Grund, das Spiel kostenlos zu veröffentlichen, ist schlichtweg meine Faszination für das Genre. Die klassischen Adventurespiele haben eine langjährige Durststrecke durchlebt und sind durch technische Innovationen von anderen Genres in eine Nische gedrängt worden. Vielen liegt das Adventuregenre aber sehr am Herzen, und glücklicherweise befindet es sich wieder im Aufwind. Dazu wollte ich einen Teil beitragen und Menschen zum Spielen animieren, die sonst einen Bogen um Adventures machen. Mit dem Konzept eines kostenlosen, nicht zu schwierigen Casual Games hat das auch sehr gut funktioniert.
Ein weiterer Grund ist, daß ich das Spiel vielmehr als Testballon verstehe und ausloten wollte, was (aufwands-)technisch möglich ist und wie die Reaktion darauf sein würde. Das überwältigend positive Feedback und die Entwicklungserfahrungen sind aber sehr ermutigend für weitere, ambitioniertere Projekte.

spielbar: Unserer Beobachtung nach sind Independent Games ein wachsender Bereich. Die Technologie wird immer anwendbarer, auch für Laien. Gleichzeitig werden die Spielkonzepte immer ausgereifter. Erfolgreiche Spiele, wie zum Beispiel „De Blob“, werden von großen Firmen übernommen. Wie sehen Sie die Zukunft der Indie-Games? Werden Sie eines Tages den kommerziellen Spiele-Produktionen ernsthafte Konkurrenz machen? Oder werden Sie kostengünstige Ideenlieferanten bleiben?

Uwe Sittig: „Ideenlieferanten“ beschreibt es schon richtig, und das wird auch langfristig die größte und einzige Rolle bleiben, die Independent Games innehaben. Kommerzielle Projekte verschlingen heute Budgets von mehreren Millionen Dollar in der Entwicklung, die auch nötig sind, um den gestiegenen Ansprüchen der großen Mehrheit der Spieler gerecht zu werden. Darüber hinaus verfügen große Studios und Publisher über die nötigen Werbeetats, um die Masse der Käufer anzusprechen und Aufmerksamkeit zu erregen. Independent Games fristen dagegen ein Nischendasein, und es ist unendlich schwerer, aus der Masse herauszustechen und den Durchschnittsspieler zu erreichen. Ohne großes Budget und ohne Werbung werden Independent-Projekte immer auf interessante neue Konzepte und spielerische Innovationen angewiesen sein, statt mit opulenter Grafik oder atemberaubenden Produktionswerten zu punkten. Darin liegt aber auch der große Vorteil: Ohne finanzielles Risiko experimentieren zu können, nicht an Verkaufszahlen und Marktforschungsdaten gebunden zu sein. Und auch wenn es die Ausnahme ist, beweisen das erwähnte „De Blob“ oder „Portal“ ja eindrucksvoll, dass mit einem innovativen Konzept auch der Sprung in den kommerziellen Mainstream möglich ist.
Die Zwischenstufe ist für mich das Konzept episodischer Spiele, wie z.B. Telltale Games mit „Sam & Max“ oder Hothead Games mit „Penny Arcade“ es demonstrieren. Dahinter stecken zwar auch erhebliche kommerzielle Budgets. Mit der episodischen Veröffentlichungsstrategie, der hohen Vorleistung und den niedrigen Preisen gehen die Firmen ein Risiko ein, eröffnen sich damit aber gleichzeitig die Chance zur Innovation, zum Experimentieren, und stehen durch zeitnahes Feedback noch während der Entwicklung dem Spieler näher. Das rückt das Konzept mehr in Richtung der Independent Games, und offensichtlich kann das auch sehr gut funktionieren.

spielbar: Wie sieht Ihre persönliche Zukunft aus? Dürfen wir uns auf ein weiteres Projekt von Dreamagination freuen? Und falls ja, wird es wieder um ein Independent Game handeln? Oder sehen Sie „Dirty Split“ auch als Referenz, um in die kommerzielle Spieleproduktion einzusteigen?

Uwe Sittig: Es wird ganz sicher weitere Entwicklungen geben, derzeit befinden sich bei Dreamagination sogar mehrere Projekte in der Pipeline. Wie genau das Veröffentlichungskonzept dafür aussehen wird, steht allerdings noch nicht fest. Klar ist aber, dass es sich wieder um mehr oder weniger klassische Adventures handeln wird – wenn auch um einiges ambitionierter als Dirty Split. Letzteres sehe ich insofern als Referenz, dass ich mir für die Zukunft eine positive Reaktion auf den Namen Dreamagination und unsere neuen Spiele erhoffe. Ich bin immer noch überrascht von der überwältigenden Resonanz und wünsche mir, dass wir das als wachsendes Team ausbauen können.
Ich würde auch sehr gern irgendwann noch einmal zu Dirty Split zurückkehren, in Form eines oder mehrerer Nachfolger. Der Stil hat es mir angetan, und es liegen noch sehr viele Ideen dafür in der Schublade. Vorerst liegt der Fokus aber auf völlig anderen Projekten, um Abwechslung in die Sache zu bringen.

spielbar: Vielen Dank für das Interview!

Weblinks

Dreamagination Entertainment

Wintermute Engine

Gemälde von Josh Angle

Bildnachweise

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