Spielbeurteilung

Warsaw

12.07.2021
In diesem Taktik-Rollenspiel bekämpfen wir die deutsche Nazi-Herrschaft in Warschau. Mit rundenbasierten Kämpfen werden wir Teil des Aufstandes der polnischen Heimatarmee, wohlwissend, dass das Aufbegehren in einer Niederlage enden wird.
Das Taktik-Rollenspiel Warsaw rekrutiert uns für den Aufstand der polnischen Heimatarmee im vom Nazi-Deutschland besetzten Warschau. Von August bis Oktober 1944 versuchen wir den Widerstand so lange wie möglich am Leben zu erhalten, sammeln Vorräte und Munition, stören strategische Manöver der feindlichen deutschen Besatzungsmacht und sabotieren gegnerische Stützpunkte. Ziel des Spiels ist es, die 63 Tage des polnischen Aufstandes zu überstehen und nicht bereits schon vorher zur Kapitulation gezwungen zu werden. Egal wie gut man sich durch die Straßenschluchten der polnischen Hauptstadt kämpft: Am Ende von Warsaw wartet die unausweichliche Niederlage gegen die deutschen Besatzer.

In der 2D-Vogelperspektive bewegen wir unseren Trupp durch die von der Wehrmacht besetzten Stadt Warschau und müssen aufpassen, dass wir nicht deutschen Patrouillen in die Arme laufen.

Das Spiel beginnt mit einer Filmsequenz, die direkt die Ernsthaftigkeit des Krieges vor Augen führt: Eine Frau läuft durch die zerstörten Straßen von Warschau auf der Suche nach ihrem Ehemann. Diesen findet sie lediglich tot in ihrem zerstörten Haus vor, mit einem blutverschmierten Foto der beiden in der Hand. Doch Zeit zum Trauern bleibt der jungen Frau nicht, da sie sich direkt gegen einen Schäferhund der deutschen Hundestaffel zur Wehr setzen muss.

Nach diesem bedrückenden Intro starten wir mit einem Tutorial, in dem die Grundzüge von Warsaw erklärt werden. In den Missionen bewegen wir unseren aus 4 Personen bestehenden Trupp in der Vogelperspektive durch die Straßen. Weiße Pfeile zeigen uns Nebenziele an. Dies können Vorräte oder Events sein, bei denen wir Gegenstände sammeln können. Goldene Pfeile weisen uns in die Richtung des Hauptziels, allerdings erst, wenn wir uns auch in der Nähe befinden. Die Aufträge in den einzelnen Missionen reichen von der Zerstörung deutscher Stützpunkte über das Sammeln von Materialien bis hin zur Rettung oder Unterstützung der in den Straßenschluchten ums Überleben kämpfenden Widerständler.

Haben wir eine Mission erfolgreich bewältigt, bekommen wir eine kurze Missionsauswertung. Danach startet eine textbasierte Geschichte, die uns durch den Warschauer Aufstand führt, uns einige Daten mit an die Hand gibt oder uns ein fiktives Erlebnis vor Augen führt. In diesen Events müssen wir immer Entscheidungen treffen. Zum Teil sind diese trivial, etwa, ob wir einen Boten losschicken, um der Frau eines Widerständlers einen Blumenstrauß zu besorgen. Andere Entscheidungen konfrontieren uns mit der Wahl, ob jemand sterben soll, der er einen anderen Menschen umgebracht hat, welcher möglicherweise mit der deutschen Besatzungsmacht kollaborierte. Einfach sind diese Entscheidungen selten, bringen uns aber neue Vorräte, Truppenmitglieder, Moralpunkte in den einzelnen Stadtvierteln oder Gegenstände, die wir zur Bewältigung der Missionen dringend benötigen.

Im Versteck des Widerstandes organisieren wir die Ausrüstung unseres Trupps, versorgen Verletzte Guerillakämpfer oder rekrutieren neue. Hier müssen weitsichtige Entscheidungen getroffen werden, um die kommenden Missionen zu überstehen.

Regelmäßig befinden wir uns im Versteck des Widerstandes. Hier können wir unsere Truppe mit Gegenständen versorgen, Vorräte gegen Munition tauschen oder mit Vorräten neue Widerstandskämpfer rekrutieren. Im Versteck werden unsere verletzten Truppenmitglieder geheilt, was allerdings auch immer eine Weile dauert. Werden Widerstandskämpfer in einer Mission zu schwer verletzt, stehen sie für die nächste Mission nicht mit vollen Lebenspunkten zur Verfügung, weswegen wir auf andere Aufständische zurückgreifen müssen. Ansonsten laufen wir Gefahr, dass die Verletzten in der nächsten Mission unwiderruflich den Tod finden. Hier ist taktisches Geschick gefragt, um die eigenen Leute möglichst unbeschadet bis zum Ende des Aufstands am Leben zu halten.

Mit jeder erfolgreich absolvierten Mission verstreichen mehrere Tage. Ziel ist es, den Aufstand, der am 01. August 1944 seinen Anfang genommen hat, bis zum 02. Oktober 1944 aufrechtzuerhalten. Egal, wie wir es drehen und wenden: Der Aufstand endet mit seiner Zerschlagung durch die deutsche Wehrmacht. Am Ende des Spiels erfahren wir von den fiktiven Einzelschicksalen der Truppenmitglieder. Einige wurden in Konzentrationslager überführt und sind dort gestorben, andere wiederum konnten ein relativ normales Leben bis zum Ende der deutschen Besatzung weiterführen. Das Spiel endet abrupt und trotz des erfolgreichen Absolvierens der Kampagne erfasst uns ein Gefühl von Verlust und Niederlage.

Spielmechanik


Taktische und strategische Überlegungen sind in Warsaw der Grundstein für eine erfolgreiche Missionsbewältigung. Laufen wir blind umher und gehen ohne Nachdenken in jeden Kampf wird uns das Spiel schnell mit dem virtuellen Tod unserer Widerstandskämpfer bestrafen. Stattdessen müssen wir schon bei der Bewegung in der Stadt eine gewisse Vorsicht walten lassen. Außerdem können an jeder Ecke Patrouillen der deutschen Besatzer auf uns lauern, die uns direkt angreifen.

Auf der Suche nach dem Missionsziel werden wir häufig von deutschen Patrouillen entdeckt und in einen Kampf verwickelt. Mit Leuchtraketen und Tarnkleidung können wir die Besatzer früh ausfindig machen und umgehen.
Können wir einem Kampf einmal nicht aus dem Weg gehen, wirft uns das Spiel in einen rundenbasierten Kampf mit den deutschen Besatzern. Hier steuern wir unsere vier Widerständler an verschiedenen Positionen in zwei Reihen. Jede Reihe hat vier Positionen. Für einige Angriffe müssen unsere Kämpfer in den hinteren Positionen stehen, einige Angriffe können nur durchgeführt werden, wenn unsere Widerständler dicht an den feindlichen Kräften stehen. Neben Angriffen bieten die Fähigkeiten unserer Leute auch Heilungen oder das Versorgen mit Spezialmunition an. Auch das Bauen von Barrikaden, die unsere Guerillakämpfer vor gegnerischem Feuer schützen, ist möglich.

Jeder siegreiche Kampf ist dabei zugleich eine kleine Niederlage: Wir verlieren Munition, unsere Kämpfer werden verletzt und müssen im Versteck geheilt werden, fallen möglicherweise für die nächste Mission aus oder starten diese nur mit wenigen Lebenspunkten. Warsaw zeigt uns mit nahezu jeder Aktion, dass es im Krieg keine Gewinner gibt.

Seitlich dargestellter Kampfmodus mit vier Widerstandskämpfern auf der linken und fünf Wehrmachtsoldaten auf der rechten Seite. Unten ist eine Aktionsleiste angezeigt, auf der verschiedene Angriffsarten zur Auswahl stehen.
In rundenbasierten Kämpfen versuchen wir die Fähigkeiten und Positionen unserer Mitglieder so einzusetzen, dass wir die deutschen Kräfte möglichst ohne große Verluste besiegen.

Spielatmosphäre


Warsaws Comicgrafik täuscht zu keinem Augenblick des Spiels darüber hinweg, wie ernsthaft die Thematik ist. Die deutschen Besatzer sind so dunkel und unheilverheißend dargestellt, dass die Gefahr vom Intro bis zum Abspann greifbar ist. Die musikalische Untermalung des Spiels ist stimmig und erinnert stark an Filme wie "Der Pianist".

Polnische Widerstandskämpfer sprechen polnisch, deutsche Besatzer schreien uns auf Deutsch ihre Missgunst entgegen. Das Spiel verzichtet auf eine komplett einsprachige Synchronisation und fördert damit die Atmosphäre.

So zieht das Spiel von der ersten bis zur letzten Minute in seinen Bann und macht die Gefahr, die von der feindlichen Besatzungsmacht ausgeht, spürbar und greifbar.

Spielzeit und Schwierigkeit


Schafft man es, den Widerstand die vollen 63 Tage aufrechtzuerhalten, so ist man ungefähr 12-14 Spielstunden beschäftigt. Einen Großteil der Spielzeit machen dabei die taktischen Kämpfe aus. Der Schwierigkeitsgrad ist dabei zwar anpassbar, aber durchgehend fordernd.
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Pädagogische Beurteilung:

Warsaw bietet trotz der Comicoptik eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Themen Holocaust und Zweiter Weltkrieg. Eindrucksvoll führt das Spiel durch die einzelnen Etappen des Warschauer Aufstands.

Vor allem das Glossar ist sehr informativ. Hier lassen sich neben Informationen zu unseren fiktiven Charakteren auch reale Fakten über die gegnerischen Truppen, Waffen oder Ereignisse des Warschauer Aufstands finden. Gerade wenn es um die unterschiedlichen Berufe und Rollen in der deutschen Wehrmacht geht, kann dieser Kodex auch in der Schulbildung eingesetzt werden. Zielgruppe ist hier vor allen Dingen die Sekundarstufe 2, da das Spiel an sich eine USK-Einstufung von 16 Jahren hat, die von Lehrkräften unbedingt beachtet werden muss.

Im Spiel an sich stehen dann allerdings die Kämpfe doch zu sehr im Mittelpunkt, um eine weitere Einbindung Warsaws in den Unterricht empfehlen zu können.

Warsaw kleidet sich zwar in eine kind- und jugendlichengerechte Comicgrafik, bietet hinter dieser Kulisse allerdings eine atmosphärisch packende Auseinandersetzung mit der Verfolgung der polnischen Widerständler durch die deutschen Besatzungstruppen. Das Setting ist für Kinder unter 16 Jahren nicht gedacht. Werden unsere Einheiten in Kämpfen verwundet, zeigt das Spiel blutige Verletzungsszenen.

Trotz Comicoptik sind die Kämpfe nichts für schwache Nerven: Treffer werden mit Blutanimationen quittiert und die gegnerischen Soldaten zeigen unter anderem auch Nazi-Symbolik.

Das Spiel hat jedoch einen Bildungscharakter. Es beleuchtet einen ca. zweimonatigen Aufstand in der Geschichte des zweiten Weltkrieges, der so in Computerspielen bisher noch nicht thematisiert wurde. Dabei transportiert das Spiel durch seine dichte Atmosphäre die Bedrohung durch die Besatzungsmacht sehr eindrucksvoll. So motiviert das Spiel dazu, sich zu Einzelschicksalen und zum Ablauf des Warschauer Aufstandes zu informieren. Zudem animieren die moralischen Entscheidungen in den textbasierten Events dazu, sich in die damalige Zeit zu versetzen und situationsadäquat zu handeln.

Altersempfehlung
Warsaw hat eine USK-Empfehlung von 16 Jahren. Zwar erleben wir die Schrecken des Krieges und bekommen das Gefühl von Verfolgung und Lebensgefahr sehr eindrucksvoll übermittelt, durch die Comicoptik wirkt dies jedoch nicht brutal.

Einen weiteren Punkt bildet die Nazi-Symbolik. Hakenkreuze sind mikroskopisch klein an einigen Stellen im Spiel zu erkennen. Dies kommt zwar nicht häufig vor, doch versucht Warsaw auch hier, die Spielumgebung realistisch zu gestalten. Dennoch hat das Spiel in Deutschland eine USK-Freigabe erhalten. Warum? Grund dafür ist die sogenannte Sozialadäquanzklausel. Laut §86 StGB dürfen Propagandamittel oder Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen weder verbreitet noch veröffentlich werden. Dieser Paragraph im Strafgesetzbuch sorgte jahrelang dafür, dass in Deutschland keine Hakenkreuze in Spielen zu sehen waren. Jedoch spricht die Sozialadäquanzklausel für Warsaw. Diese hebt das Verbot aus §63 auf, wenn die Zeichen in Wissenschaft, Lehre oder Kunst verwendet werden oder der staatsbürgerlichen Aufklärung dienen. Außerdem räumt die Klausel ein, dass das Verwenden dieser Symbolik nicht strafbar ist, wenn eine klare Ablehnung der NS-Ideologie offenbart wird. Beides scheint bei Warsaw zu greifen.

Fazit:

Warsaw kommt mit einer schlichten Comicoptik daher, bietet aber enormen Tiefgang. Zwar wird das Spielprinzip nach einer gewissen Zeit redundant, jedoch ist der Wunsch, den Aufstand bis zu seinem Ende am 02. Oktober 1944 aufrechtzuerhalten, motivierend genug, um weiterzuspielen.

Die rundenbasierten Kämpfe und die taktikorientierte Spielweise sind recht speziell, sodass Warsaw sicherlich keine breite Zielgruppe ansprechen wird. Lässt man sich jedoch auf das Spielprinzip ein und möchte etwas über Geschichte lernen, so ist Warsaw einen Blick wert.
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Bildnachweise

[1]Warsaw / Gaming Company / Pressematerial[2]Warsaw / Gaming Company / Screenshot by spielbar.de[3]Warsaw / Gaming Company / Screenshot by spielbar.de[4]Warsaw / Gaming Company / Screenshot by spielbar.de[5]Warsaw / Gaming Company / Screenshot by spielbar.de