Goethe meets Games - Eine Fachtagung bringt Computerspiele in den Deutschunterricht

27.04.2012
Vom 29.-30. März trafen sich Didaktiker und Lehrkräfte zur Tagung “Computerspiele als Gegenstand des Deutschunterrichts” in Köln. Tobias Hübner, selbst Deutschlehrer und Autor des Blogs medienistik.de, nahm ebenfalls an der Tagung teil. Für spielbar.de schildert er seine Eindrücke.

Wenn Computerspiele heutzutage in der Schule thematisiert werden, dann geht es zumeist um Gewalt, Geschlechterdiskriminierung oder die Minderwertigkeit des Mediums gegenüber der hohen Literatur. Dass es auch anders geht, zeigte die kleine, aber interessante Fachtagung Computerspiele als Gegenstand des Deutschunterrichts am 29. & 30. März an der Uni Köln. Die anfängliche Furcht der Organisatoren, nicht genug Referenten zu finden, hat sich nicht bestätigt. Insgesamt zwölf Vorträge von Didaktikern und Lehrern beschäftigten sich damit, wie man Computerspiele in der germanistischen Forschung und im Schulalltag fruchtbar machen kann. Die Ergebnisse werden in einem Tagungsband veröffentlicht.

Prof. Dr. Christine Garbe gab in ihrem Eröffnungsvortrag die Richtung vor: Der Deutschunterricht besitze kaum noch Vorbildfunktion für die Lesesozialisation der Schülerinnen und Schüler. Selbst der eigene (von zwei Germanisten erzogene) Nachwuchs beschäftigte sich im Jugendalter lieber mit Diablo als mit Faust.
Wer solche Entwicklungen als Untergang der abendländischen Kultur interpretiere, liege jedoch falsch. Früher versetzte die "pubertäre Lesesucht" Eltern grundlos in Angst und Schrecken, heute wird Computerspielen die Rolle des Sündenbocks zugewiesen. Dabei könnte man die jüngere Generation mit Games vielleicht besser erreichen.

Prof. Dr. Matthis Kepser stellte auf eloquente Art und Weise Daten und Fakten zur Relevanz von Computerspielen in unserer Kultur dar. Lehrpläne würden Games jedoch kaum berücksichtigen und auch in Deutschbüchern finden sich nur vereinzelt entsprechende Unterrichtseinheiten (z. B. in deutsch.punkt 3 von Klett). Dabei besitzen Computerspiele eine enorme Zukunftsrelevanz und es sei keineswegs so, dass das Medium nur für Jugendliche relevant sei. Der Durchschnittsspielende in den USA ist schon heute zwischen 40 und 45 Jahre alt. Zeitschriften wie GEE, Elektrospieler oder Retro richten sich gezielt an erwachsene Spielerinnen und Spieler.
Abschließend warf Prof. Dr. Matthis Kepser einen Blick in die Zukunft und stellte ein umfangreiches kompetenzorientiertes Modell zur Arbeit mit Computerspielen im Unterricht vor.

Dr. Ulrich Wechselberger und Jessica Gahn referierten anschließend über die Frage, wie sich das Literarische in Computerspielen genau definieren lässt. Dabei wurde herausgestellt, dass Games ein höchst symbolisches Medium sind. Die dort dargestellten Gegenstände beziehen sich nach Meinung der Referenten nicht auf die reale Welt, sondern lediglich auf das Spielsystem. Demonstriert wurde dies am Spiel Uncharted 3, in dem alle für die Lösung eines Rätsels wichtigen Gegenstände gelb eingefärbt sind. Spiele, so lautete das Fazit, haben durchaus etwas Literarisches und eignen sich daher auch zum Vergleich mit literarischen Texten.

Jan Boelmann von der Uni Bochum stellte eine umfangreiche empirische Studie zum literarischen Lernen mit Computerspielen vor und plädierte dafür, Games zu einem eigenständigen Unterrichtsgegenstand zu machen. Die durch die Spiele erworbene literarische Kompetenz lasse sich ebenso empirisch nachweisen wie bei Texten, weshalb die Potentiale narrativer Computerspiele in der Schule besser genutzt werden sollten. Um dieses Ziel zu erreichen, müsse jedoch auch der empirische Nachweis erbracht werden, dass Computerspiele nützlich für das Erreichen der in den Lehrplänen vorgegebenen Bildungsziele sind.

Heiko Miele konzentrierte sich in seinem Vortrag auf das Phänomen Tomb Raider. Anhand mehrerer Beispiele zeigte er auf, wie sich Lara Croft zu einem kulturellen Phänomen entwickelte und auf welche Art und Weise die Geschichte im Spiel erzählt wird. Der Referent zeigte zudem auf, dass es vielfältige Anknüpfungspunkte für den Einsatz des Spiels im Unterricht gibt und wie eine Einbindung in curriculare Vorgaben aussehen kann.

Der Vortrag Markus Engelns mit dem Titel "Warum Citizen Abel sterben musste" begann mit der überraschenden Frage, ob Computerspiele überhaupt erzählen, schließlich sei es irrelevant zu wissen, warum die Monster in Doom böse sind. Andere Spieler hingegen wollen durchaus mehr über die Figuren in Computerspielen wissen. James Paul Gee vermittelt zwischen den Positionen und behauptet, dass Computerspiele eine neue Form des Erzählens verwenden.

Veranschaulicht wurde diese Problematik am Spiel Gravity Bone (Zur offiziellen Webseite des Spieleentwicklers von Gravity Bone) und der Art, wie das Spiel Narrativität einsetzt. Der Referent stellte anschließend ein didaktisches Konzept vor, mit dem man das Spiel im Unterricht einsetzen kann. Es sieht vor, zunächst erzählerische Komponenten zu untersuchen und das Spiel anschließend mit Spielen ohne Narration, z.B. Minecraft, zu vergleichen. Anschließen ließen sich Fragen nach dem Verhältnis zu den Geschlechtern oder der Manipulation des Spielers.

Der Vortrag von Dr. Thomas Hoffmann beschäftigte sich mit dem Einsatz von Adventurespielen in der Schule am Beispiel von Torins Passage. Schülerinnen und Schüler wurden nach einer 10-minütigen Spielzeit mit einer offenen Schreibaufgabe konfrontiert: "Du hast viel gesehen, gehört, erlebt. Ordne deine Gedanken. Schreibe auf, was dir wichtig ist." Die Auswertung ergab, dass die Identifikation mit der Hauptfigur höchst unterschiedlich ausfiel: In ca. der Hälfte der Texte wurde nur eine, in der anderen Hälfte mehrere Perspektive eingenommen. Im Adventure können Schülerinnen und Schüler nach Meinung des Referenten Allmacht und Geborgenheit erfahren.

Der Student Philipp Wuwer stellte danach vor, wie man mit Ceville im Deutschunterricht arbeiten kann. Im Focus stand dabei der Vergleich mit Märchen.
In Ceville fänden sich alle Merkmale eines klassischen Märchens (z. B. Bewährungsproben, Aufgaben mit Hilfe von Zauberwesen, Spannung zwischen Schein und Sein, Kampf mit Riesen und Drachen, Gut gegen Böse). Das Spiel enthalte viele intertextuelle Verweise auf andere Märchen wie Rotkäppchen oder Der Froschkönig, andere Filme wie Herr der Ringe und auch Castingformate aus dem Fernsehen. Im Unterricht könne man z. B. die Spielfiguren charakterisieren, einen alternativen Anfang oder Schluss verfassen, Intertextualitäten erkennen oder ein eigenes Märchen schreiben.

Dominik Häring rückte dann das Konzept der "Epistemic Games" ins Zentrum, verbunden mit der Frage, warum Computerspiele überhaupt im Unterricht eingesetzt werden sollen. Epistemische Spiele sind Computerspiele, die auf das selbständige Entwickeln von Lösungswegen und -strategien sowie das Verstehen und Anwenden von Lernprinzipien ausgerichtet sind. Man müsse dabei jedoch bedenken, dass befohlenes Spielen eigentlich kein Spielen mehr sei. Diese Gefahr ist im schulischen Kontext immer gegeben, sei aber kein Grund, Spiele nicht einzusetzen.

Dr. Stefan Hofer und René Bauer berichteten von einem Unterrichtsvorhaben zur Frage, wie unterschiedliche Medien erzählen. Durchgeführt wurde das Projekt an der Kantonschule Baden mit zwei Schulklassen aus der Jahrgangsstufe 10. Gespielt wurden u. a. Tetrisund das skurrile Online-Spiel Samorost. Anschließend hielt man Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Erzählweise fest und diskutierte darüber, ob Games die neuen Märchen sind. Schließlich wurde versucht, die mit Hilfe der Spiele gesammelten Ergebnisse wieder auf die Literatur zu übertragen. So stellten die Schülerinnen und Schüler fest, dass Erzählen eine anthropologische Konstante darstellt. Gearbeitet wurde mit der E-Learning-Plattform tEXtMACHINA und Freeware-Programmen.

Der Mediävist PD Dr. Ralf Schlechtweg-Jahn aus Bayreuth thematisierte in seinem Vortrag die "verlässlichen Zufälle" im Computerspiel Assassin's Creed. Wie kommt es, dass der "leap of faith" (Video mit Beispielsszene) immer in einem Heu- oder Laubhaufen endet? Die Gestaltung von Raum und Zeit im Spiel wurde mit der in einem Roman verglichen und herausgestellt, dass diese im Spiel von der Bewegung im Raum abhängig sei. Im Zentrum stand dabei der Begriff des Chronotopos des Literaturwissenschaftlers Michail Bachtin.

Schließlich durfte ich selbst einen Vortrag halten über die Frage, was Schule von Computerspielen lernen kann. Hierzu wurde das Konzept der Schule Quest to Learn in New York vorgestellt, die Games einsetzt, weil sie einen Kontext schaffen, der zum Entdecken und Austausch anregt. Vorgestellt wurde auch das Themenheft Computerspiele, das sich auf meinem Blog www.medienistik.de kostenlos herunterladen lässt und viele Anregungen zum Einsatz von Computerspielen im Deutschunterricht enthält.

Fazit:

Die Tagung bot viele Anregungen zum Einsatz von Computerspielen im Deutschunterricht. Sie zeigte jedoch auch, dass es noch ein weiter Weg ist, bis Computerspiele ihren Weg in die Schule bzw. Lehrerausbildung finden werden. Leider wurden in mehreren Vorträgen Computerspiele nicht als eigenständiges Medium, sondern lediglich als Anlass zur Textproduktion genutzt. Auch waren einige der vorgestellten Konzepte zur Arbeit mit Computerspielen recht alt (z. B. jenes, welche auf dem 17 Jahre alten Torins Passage basiert).

Es bleibt zu hoffen, dass dies nicht die letzte literaturdidaktische Tagung zum Thema Computerspiele war, da die engagierten Diskussionen im Anschluss an die jeweiligen Vorträge gezeigt haben, dass bezüglich des Verhältnisses zwischen Literatur und Computerspielen noch immer viele Fragen offen sind.
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Dieser Artikel wurde verfasst von:
Tobias Hübner

Bildnachweise

6 Kommentare

Colle schreibt:

Gibt es eine Möglichkeit, sich informieren zu lassen, sobald der Tagungsband erschienen ist?

03.04.2012 um 12:29
Anne Sauer (Redaktion spielbar.de) schreibt:

Hallo Colle, lieben Dank für deinen Kommentar! Wir behalten das auf jeden Fall im Auge und informieren hier auf spielbar.de, sobald es Neuigkeiten zum Tagungsband gibt. Folge uns doch unter www.twitter.com/spielbar, um über jegliche Aktivitäten auf unserer Seite informiert zu werden ;).

03.04.2012 um 12:45
Games im Deutschunterricht? Eine Tagung in Köln hat dieses schreibt:

[...] http://www.ksta.de/html/artikel/1333122850541.shtml [...]

03.04.2012 um 20:40
Goethe meets Games – Eine Fachtagung an der Uni Köln schreibt:

[...] Hinterlasse einen Kommentar Diesen Artikel wurde zuerst veröffentlicht auf  www.spielbar.de [...]

07.04.2012 um 07:02
Goethe meets Games | Lesen in den neuen Medienwelten schreibt:

[...] in den Deutschunterricht von spielbar.de, einer Seite der Bundeszentrale für politische Bildung http://www.spielbar.de/neu/2012/04/goethe-meets-games-eine-fachtagung-bringt-computerspiele-in-den-d... Die Nutzung von Games im Schulunterricht hat Ende März 2012 auch eine Fachtagung von Didaktikern [...]

07.07.2013 um 07:31
Peter schreibt:

Ha! Computerspiele im Unterricht... Vor ein Paar Jahren wurden Videospiele noch verteufelt und der Grund sämtlicher Verfehlungen der bösen Jungs.

20.05.2016 um 11:36