Spielbeurteilung

Beholder 3

16.08.2022
Im Dienste des Inlandsgeheimdienstes der "Größten Union" überwachen die Spielenden ihre Mitmenschen in der Nachbarschaft sowie im Ministerium. Wie weit gehen sie, um sich im Ministerium hochzuarbeiten und wer bleibt dabei auf der Strecke?
1989 in der "Großanführerstadt", der Hauptstadt der "Größten Union". Frank Schwarz zieht mit seiner Familie in ein Mietshaus ein. Durch eine Intrige hat er seinen hohen Posten im Ministerium verloren und muss zur Strafe jetzt hier den Hausverwalter spielen. Im dritten Teil der Beholder-Spielreihe stehen wir zu Beginn ganz weit unten. Doch neben Waschmaschinen zu entkalken und Rechnungen zu bezahlen müssen wir immer noch dem Ministerium, der staatlichen Überwachungs- und Steuerungsbehörde, Bericht über unsere Mitmenschen erstatten.
In unserem Mietshaus sorgen wir getarnt als Hausverwalter dafür, dass verbotener Besitz oder verdächtiges Verhalten bestraft werden. Die angezeigte Person wird von der Polizei verhaftet und verschwindet.

Dann jedoch kommt Bewegung in die politische Landschaft unserer "Größten Union": Verbote werden gelockert und vielleicht wird demnächst sogar der Reiseverkehr ermöglicht. Wir stehen an vielen Stellen vor der Wahl: Wenn wir uns an die Vorgaben unserer Hardliner-Vorgesetzten halten, uns also systemtreu verhalten, die richtigen Informationen und damit die "falschen" Mieter ans Messer liefern, können wir im Ministerium schnell wieder in die höheren Ränge aufsteigen. Was aber, wenn wir uns im Ministerium lieber an die Reformer halten oder sogar versuchen, die Revolutionäre zu unterstützen?

Beeinflusst werden diese Gewissensentscheidungen auch von den Geschichten und persönlichen Schicksalen der anderen Figuren. Als Familienvater wollen wir unsere Frau unterstützen, die sich wegen der knappen Familienkasse inzwischen einen Job suchen musste und zunehmend unglücklich mit unserem Auftreten als Familienvater und "Hausverwalter" ist. Demgegenüber ist unser Sohn ein fleißiger Jungpionier, der jedoch plötzlich medizinische Unterstützung benötigt. Unsere Tochter wiederum entpuppt sich zu Beginn des Spiels als "Nonkonforme" – sie ist homosexuell und möchte endlich offen damit umgehen können. Wir müssen entscheiden, ob wir sie zur Geheimhaltung überreden oder ihre Freiheit unterstützen und damit Sanktionen für sie und uns selbst riskieren.

Neben unserer eigenen Familie haben sowohl die Mieterinnen und Mieter im Haus, aber auch die Kolleginnen und Kollegen im Ministerium ihre eigenen Persönlichkeiten, Sorgen sowie politischen Orientierungen. Wen unterstützen wir z.B. mit Medikamenten oder gar bei der Flucht vor der Regierung? Und wen verraten wir ans Ministerium, vielleicht sogar für unseren eigenen Vorteil? Das Spiel stellt uns vor viele Herausforderungen, die Konflikte zwischen Mitläufertum und Widerstand thematisieren. Beholder 3 zeichnet mit seiner düsteren Musik und Scherenschnitt-Grafik die bedrückende Atmosphäre in einem autoritären Überwachungsstaat nach. Von den deutschen Namen der Charaktere über deren Berliner Schnauze bis zur Blümchentapete im Mietshaus ähnelt die "Größte Union" der DDR und spielt mit der Reisereform und musikalischem Besuch aus dem Westen auf deren Geschichte an. Am Ende unserer eigenen Geschichte wird es nicht möglich sein, Karriere, Reform des Staates und Freiheit für uns und unsere Familie zu vereinen. Wir sind dem System ausgeliefert und der Spielraum für Gewissensentscheidung bleibt durch die Übermacht des Ministeriums begrenzt.

Die Spielmechanik des Point-and-Click-Adventures ist simpel. Mit Pfeiltasten und Maus oder mit dem Controller bewegen wir uns durch die in Seitenansicht dargestellte Welt und beschäftigen uns vor allem mit einzelnen Räumen und Gegenständen sowie schriftlichen Dialogen.

Nach einem ausführlichen Tutorial erledigen wir als Frank Schwarz unterschiedliche Missionen. Unsere Aufträge erhalten wir dabei in Dialogen mit Vorgesetzten oder am Telefon in unserem Büro. Rückfragen sind in der Regel nicht erwünscht, dafür höchste Diskretion und unmittelbarer Bericht an unsere Ansprechpartnerinnen und -partner im Ministerium. Durch Befragungen, Spähen durchs Schlüsselloch, Einbrüche in Wohnungen und Büros, die Installation von Kameras und das Durchsuchen privater Räume erlangen wir Informationen über unser Umfeld. In unserer zweiten Rolle als Hausverwalter kümmern wir uns, um den Schein zu wahren, natürlich auch um die Vermietung der Wohnungen, die Begleichung unserer Rechnungen und kleine Reparaturen sowie die unterschiedlichen Anliegen der Mieter.
An unserem Schreibtisch im heimischen Hinterzimmer oder im Ministeriumsbüro führen wir Buch über unsere Mitmenschen. Mit jeder Information, die wir ins Profil eintragen oder zur Anzeige bringen, verdienen wir Geld.

Beim Spitzeln können wir Profile über unsere Mitmenschen erstellen und erhalten dafür Geld und Status, wenn wir Informationen an das Ministerium melden: Was liegt in der Wohnung herum, wer redet mit wem, gibt es auffällige Äußerungen oder Verhalten? Da in diesem Staat so einiges verboten ist, erlangen wir immer wieder belastende Informationen. Wenn wir das kompromittierende Material ans Ministerium melden, werden die Personen verhaftet und verschwinden von der Bildfläche; vorausgesetzt, wir haben keinen Formfehler begangen, uns für das Verbot auf die richtige Verordnung bezogen und die Person steht nicht aus undurchsichtigen Gründen unter dem Schutz des Ministeriums. Statt die Betroffenen direkt beim Staat zu verpfeifen, können wir die Indizien jedoch auch zur Erpressung nutzen und uns damit ein hübsches Sümmchen verdienen.
Wenn eine Aufgabe scheitert, betrifft das nicht nur unsere Karriere im Ministerium, sondern auch das Wohlergehen unserer Familie.

Für die Aufgaben haben wir eine unterschiedliche Menge Zeit zur Verfügung und für die Bewältigung einiger Aufgaben braucht es das nötige Geld. Können wir eine Aufgabe (nicht) abschließen, hat dies unterschiedliche Konsequenzen: Wenn es gut läuft, steigen wir im Ansehen und werden im Ministerium befördert. Fehlverhalten wird nicht nur mit einer Rüge geahndet: Plötzlich verliert unsere Frau ihren Job, unser Sohn gerät in einen Unfall oder wir werden selbst aus dem Weg geräumt - Game over. Das Spiel kann uns so in Richtung Konformität drängen und zeigt die Grenzen unseres individuellen Handlungsspielraums im System auf. Wir sind gezwungen, die Karriereleiter zu erklettern, die Unterstützung abtrünniger Kräfte darf nicht zu sehr auffallen. Mit steigender Position im Ministerium haben wir Zugang zu neuen Bereichen, besserer Überwachungstechnik und neuem Einbruchsgerät. Damit wird unsere Spionage einfacher, der Druck, keinen falschen Schritt auf dem Weg nach oben zu tun, steigt jedoch auch.

Spielverlauf
Die Aufgaben sind verständlich gestellt und ihre Lösung lässt sich stets gut ausknobeln. Dabei konzentriert sich der Tätigkeitsbereich mit zunehmender Spielzeit: Während wir am Anfang noch in viele unterschiedliche Dinge eingebunden sind, dominiert nach einigen Spielstunden der Hauptstrang der Geschichte, wodurch Nebencharaktere und -handlungen an Bedeutung verlieren. Bis zum Ende der Story dauert es ca. 10 Stunden. Da wir bereits früh die wegweisende Entscheidung treffen müssen, für welche Seite wir spielen wollen, ist die Motivation zum erneuten Spielen hoch. Einmal ganz rebellisch unterwegs zu sein, sich den Hardlinern ohne Rücksicht auf Verluste anschließen oder doch der Tochter den Rücken stärken: All diese Pfade können entdeckt werden, und die unausgeschöpften Möglichkeiten aus einem Durchlauf regen dazu an, das Spiel noch einmal von vorn zu beginnen.
Platzhalter
Dieses Spiel wurde getestet von:
Anna-Lena Kramer (Studentin der Politikwissenschaft, Soziologie und Psychologie)

Pädagogische Beurteilung:

Die moralischen Entscheidungen, die wir als Frank treffen müssen, gehen nahe, denn neben der Belastung, andere Personen zu überwachen und zu verraten, sind es im Spiel nicht selten Vertraute und Verwandte, die sich in brenzlicher Lage befinden.

Das Oberthema der Beholder-Reihe ist die Kritik an autoritären Staaten, an denen sich die fiktive Spielwelt orientiert. Uns wird vor Augen geführt, wie Überwachung sich auf Beobachtende und Beobachtete auswirkt und wir erleben das Gefühl, niemandem richtig zu vertrauen. Wir lernen Zensur in Form von unterschiedlichen Zeitungen und Selbstzensur in Gesprächen kennen oder werden mit drakonischen Strafen von Jobverlust bis Arbeitslager konfrontiert.

Die Absurdität mancher Charaktere und Verordnungen transportiert durch die extreme Zuspitzung einen düsteren Humor. Auch die Arbeit im Ministerium ist ein humorvolles Zerrbild des braven Beamtentums. Teils werden auch Stereotype umgekehrt, wenn die Person mit dem größten Büro und dem direktesten Draht zum „Großen Anführer“ als kleine zierliche Frau dargestellt wird. Immer wieder gibt es in Dialogen Anspielungen auf die realen Ereignisse der DDR und des Kalten Krieges. Trotzdem ist das Szenario überspitzt und bedient sich satirischer Mittel.

Der dritte Teil der Beholder-Reihe spricht unterschiedliche gesellschaftliche Themen an. Dazu zählt neben der „Nonkonformität“ der lesbischen Tochter auch HIV und AIDS. Einer unserer Mieter ist daran erkrankt und auf Medikamente angewiesen, steckt aber wissentlich mehrere Frauen an. Im Haus begegnen uns außerdem häusliche Gewalt, Prostitution, Drogen sowie ein florierender Schwarzmarkt. Das Spiel regt dazu an, zu reflektieren, welche Regeln und Freiheiten in unserer Lebenswelt selbstverständlich sind und welche Auswirkungen Repressionen auf einzelne Personen haben. Wenn wir uns in die Figuren hineinversetzen, werden abstrakte Konzepte konkreter diskutierbar.

Alterseinschätzung
Für eine reflektierte Auseinandersetzung mit Beholder 3 sollte ein solider historischer und politischer Kontext zum Thema Kalter Krieg und DDR vorhanden sein. Jugendlichen ab 16 Jahren wird die Systemkritik und der dunkle Humor des Spiels bereits zugänglich sein. Die Gewaltdarstellungen und persönlichen Schicksale sind über die Handlung und die abstrakte Darstellung nicht überfordernd, aber durchaus ernst. Das Spiel kann auch ohne ausführliche pädagogische Betreuung zur Auseinandersetzung mit autoritären Systemen anregen.

Einsatz in Bildungskontexten
Aufgrund der langen Spielzeit ist Beholder 3 als Ganzes nicht im Unterricht einsetzbar. Es ist jedoch denkbar, einzelne Missionen zu präsentieren oder gemeinsam durchzuspielen, um die zugrundliegenden moralischen Konflikte zu diskutieren. Dies bietet sich im Sozialwissenschafts- oder Philosophieunterricht an. Die Darstellung eines überspitzten autoritären Systems sowie die begrenzten Möglichkeiten zur Reform von innen oder von außen können außerdem Ansatzpunkte im Geschichtsunterricht sein. Dabei können auch die Parallelen zur historischen Sowjetunion und modernen autoritären Staaten diskutiert werden.

Fazit:

Mit einer einfachen Spielmechanik und interessanten Story bietet Beholder 3 die Chance, in einen historisch-inspirierten Überwachungsstaat einzutauchen. Mit bedrohlicher Atmosphäre und einer Prise Humor wird ein kritischer Blick auf die vielen Rädchen eines autoritären Systems geworfen.
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Dieses Spiel wurde beurteilt von:
Anna-Lena Kramer (Studentin der Politikwissenschaft, Soziologie und Psychologie)

Siehe auch

Spielbeurteilung

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Eine mitreißende Geschichte mit spannenden Gewissensentscheidungen: In Beholder 2 lüften wir als Ministerialbeamter das Rätsel um den mysteriösen Tod unseres Vaters. Dabei werden wir ein Zahnrädchen der Diktatur.

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Bildnachweise

[1]Beholder 3 / Alawar Premium / Screenshot by spielbar.de[2]Beholder 3 / Alawar Premium / Screenshot by spielbar.de[3]Beholder 3 / Alawar Premium / Screenshot by spielbar.de[4]Beholder 3 / Alawar Premium / Screenshot by spielbar.de[5]Beholder 2 / Warm Lamp Games / steampowered.com[6]The Inner World 2 – Der letzte Windmönch / Studio Fizbin / Screenshot by spielbar.de[7]Orwell: Keeping an Eye On You / Osmotic Studios / steampowered.com