Spielbeurteilung

Suzerain

03.05.2021
Als Präsident eines Landes endlich mal alles besser machen – das ist das Ziel dieser Politik-Simulation. Allerdings hat auch das virtuelle Regieren so seine Tücken, sodass der perfekte Staat auch in Suzerain kaum zu machen ist.
Die Spannung in der Sitzung des Parlamentes ist nahezu unerträglich. Nur langsam werden die Stimmen der Abgeordneten ausgezählt. Dabei geht es um nichts weniger als die historische Änderung der in die Jahre gekommenen Verfassung. Endlich ist das Ergebnis da und Präsident Anton Rayne kann aufatmen: Knapp hat seine Verfassungsreform die notwendige 2/3-Mehrheit erreicht und läutet so ein neues demokratisches Zeitalter ein. Viel Zeit zum Feiern bleibt dem Präsidenten allerdings nicht: Zuhause wartet seine enttäuschte Frau Monica auf ihn, deren Vorhaben für mehr Frauenrechte er für die Stimmen der Konservativen geopfert hat. Zudem sind die mächtigen Oligarchen nicht glücklich über die Beschränkung ihrer wirtschaftlichen und politischen Macht durch die neue Verfassung. Schon drohen diese Konflikte das gerade Erreichte wieder zunichte zu machen.

Zu Beginn legen wir den bisherigen Lebenslauf der Hauptfigur fest.

Derartige Erlebnisse sind typisch für den Spielverlauf von „Suzerain“, das im Dezember 2020 vom Berliner Indie-Entwickler-Studio „Torpor Games“ veröffentlicht wurde. Die Spielenden schlüpfen in die Rolle von Präsident Anton Rayne, der Anfang der 1950er Jahre an die Spitze des fiktiven Staates Sordland gewählt wird. Die Aufgaben, vor denen der neue Staatschef steht, sind nicht einfach: Das Land ist in einer schweren Wirtschaftskrise gefangen, seit Jahrzehnten unterdrückte Volksgruppen fordern Gleichberechtigung und die alten Eliten stellen sich gegen jede Reform des korrupten und ineffizienten Systems. Als wäre das noch nicht genug, ist die Region, die an Mitteleuropa angelehnt ist, im Kalten Krieg zwischen Ost und West gespalten, während ein Nachbarland Sordlands bereits Truppen an der Grenze zusammenzieht, um sich umstrittene Regionen notfalls gewaltsam einzuverleiben. In dieser schwierigen Lage hängt es alleine von den Entscheidungen der Spielenden ab, ob die Bürgerinnen und Bürger von Sordland auf eine rosige Zukunft hoffen dürfen oder das Land unter dem Druck der andauernden Krisen zerbricht.

Die Wahlversprechen werden im Spielverlauf wichtig, da sich die Bevölkerung daran erinnert.

Anders als in klassischen Strategiespielen oder Politiksimulationen steuern die Spielenden in „Suzerain“ keine Einheiten, legen keine Werte per Schieberegler fest und kontrollieren nicht per Mikromanagement die Entwicklung einzelner Städte. Stattdessen werden die Entscheidungen in Gesprächen mit Ministerinnen und Ministern, Wirtschaftsvertreterinnen und Wirtschaftsvertretern und sogar der Familie der Spielfigur getroffen. Auf einer Übersichtskarte der gesamten Region werden die Spielenden über aktuelle Entwicklungen auf dem Laufenden gehalten und wählen die nächsten Treffen aus – wobei es in der Regel keine Rolle spielt, welche der angezeigten Ereignisse zuerst abgehandelt werden, da das Spiel den Verlauf weitestgehend vorgibt. „Suzerain“ ist daher auch mehr ein interaktiver Politikthriller als ein Strategiespiel oder eine Simulation. Statt auf abstrakte Zahlen zu achten oder Werte von Einheiten zu vergleichen, erleben die Spielenden die Geschichte von Anton Rayne und dessen Familie, Verbündeten und Feinden.

Auf der Karte der Region werden verschiedene Ereignisse und Informationen angezeigt.

Das Spiel führt dabei mit einem kurzen Prolog in das Leben der Hauptfigur ein. Eingeblendete Texte führen von Raynes Geburtsjahr 1908 an durch die Geschichte Sordlands, den Sturz der Monarchie, den Bürgerkrieg und die Entstehung der Republik. An bestimmten Stellen können die Spielenden dabei zum Beispiel festlegen, ob Rayne aus einer armen oder reichen Familie kommt oder ob er sich während des Bürgerkrieges auf eine Seite geschlagen hat oder neutral geblieben ist. Mit einer so entwickelten Figur beginnt das eigentliche Spiel am Tag der Vereidigung als neuer Präsident. Stück für Stück lernen die Spielenden dann Sordland, die zentralen Akteure sowie die Nachbarstaaten kennen. Über all das gibt es in einer ausführlichen Enzyklopädie zudem umfangreiche Informationen, auf die jederzeit zugegriffen werden kann. Das Spiel – das derzeit nur auf Englisch erhältlich ist – ist dabei sehr textlastig. Alle Ereignisse und Entscheidungen werden in überwiegend langen Texten präsentiert und die Karte ist mehr Dekoration als funktionaler Spielinhalt.

Im Rahmen der Gespräche und Ereignisse können die Spielenden aus verschiedenen Möglichkeiten auswählen, wobei frühere Entscheidungen Auswirkungen darauf haben, welche Optionen zur Verfügung stehen. Statt Rayne jedoch nur zu informieren, versuchen die Charaktere des Spiels, also die Ministerinnen und Minister oder die Wirtschaftsvertreterinnen und Wirtschaftsvertreter, aktiv Einfluss auf die Entscheidungen des Präsidenten zu nehmen. So bevorzugt der Wirtschaftsminister etwa eine äußerst liberale Marktwirtschaft, während sich die Bildungsministerin für die Einführung des Sozialismus in Sordland ausspricht. Jeder Charakter verfolgt somit eine eigene Agenda, die nicht immer auf den ersten Blick ersichtlich ist. Nach einem rund 12 Stunden dauernden Spieldurchgang dürften die meisten daher weitere Anläufe starten, um alle Facetten des Spiels und mehrere der zahlreichen Enden zu erleben, die für Sordland und seinen Präsidenten möglich sind.
Dominik Rehermann
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Pädagogische Beurteilung:

„Suzerain“ stellt Politik als Zusammentreffen von Menschen mit unterschiedlichen Wünschen, Zielen und Interessen dar, die gegeneinander abgewogen werden müssen. Durch den Fokus auf den Menschen im Zentrum von Politik liefert das Spiel somit eine sehr realistische Darstellung von politischen Prozessen, die im echten Leben eben nicht aus Schiebereglern und Auswahlmenüs, sondern aus der Interaktion von Menschen bestehen. Dem Spiel gelingt es dabei hervorragend, die Konflikte und Dilemmata abzubilden, denen politische Akteure immer wieder begegnen. Dass auch das Privatleben von Präsident Rayne, das durch den wachsenden Druck mehr und mehr in Mitleidenschaft gezogen wird, eine Rolle spielt, rundet den umfangreichen Einblick in das Leben von Politikerinnen und Politikern ab.

Leider sind die hervorragend geschriebenen, aber anspruchsvollen Texte, die das Spiel in seinem Kern ausmachen, bisher nur auf Englisch erhältlich, sodass die Spielenden die Sprache gut beherrschen müssen, um das Spiel zu verstehen. Auch mit guten Englischkenntnissen verlangen die langen Textpassagen und komplexen Zusammenhänge den Spielenden trotz der spannenden Erzählweise viel Konzentration ab, sodass regelmäßige Pausen zu empfehlen sind. Die hohe Komplexität des Spiels macht gerade bei Jüngeren eine Begleitung durch Lehrkräfte oder Eltern empfehlenswert. Zwar gibt das Spiel insgesamt keiner bestimmten Ideologie einen Vorzug, doch kann es schwerfallen, zu verstehen, dass die Empfehlungen des Kabinetts von den Interessen der Mitglieder geleitet sind und nicht als neutrale Bewertung zu verstehen sind.

Gerade weil „Suzerain“ die Entscheidungen nicht als richtig oder falsch bewertet, ist eine klärende Einordnung der Zusammenhänge für Jugendliche notwendig. So kann im Spiel der Aufbau eines Terror-Regimes mit Geheimpolizei und Folter ebenso zu einem „Erfolg“ für die Hauptfigur führen, wie die Entwicklung einer funktionierenden Demokratie. Elemente wie Völkermord, Krieg und politisch motivierte Gewalt sind Inhalt des Spiels, werden jedoch ausschließlich per Text präsentiert, sodass das Spiel bei entsprechenden Sprachkenntnissen und einordnender Begleitung ab 12 Jahren geeignet ist.

Gerade für den Schulunterricht und die politische Bildung bietet „Suzerain“ darüber hinaus eine gute Möglichkeit, sich mit politischen Prozessen und moralischen Fragen auseinanderzusetzen – insbesondere da der menschliche Aspekt viel Raum dafür bietet, nicht nur politische Verfahren, sondern auch das Handeln und Denken von Politikerinnen und Politikern verstehen zu können.

Fazit:

„Suzerain“ ermöglicht, eine Perspektive auf Politik einzunehmen, die in vergleichbaren Spielen oft nicht vermittelt wird. Die hohe Komplexität und Textlastigkeit erfordern allerdings eine hohe Konzentration und insbesondere bei Jüngeren eine einordnende Begleitung – zumal das Spiel bisher nur auf Englisch erhältlich ist.
Dominik Rehermann
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Bildnachweise

[1]Spielbar.de[2]Suzerain / Torpor Games & Fellow Traveller / Screenshot by spielbar.de[3]Suzerain / Torpor Games & Fellow Traveller / Screenshot by spielbar.de[4]Suzerain / Torpor Games & Fellow Traveller / Screenshot by spielbar.de[5]Democracy 3 / Positech Games / Screenshot by spielbar.de[6]Evil Democracy 1932 / Hamsters Gaming / Screenshot by spielbar.de[7]We. The Revolution / Klabater / Screenshot by spielbar.de