Spielbeurteilung

Not For Broadcast

28.04.2020
Im Regieraum müssen wir auf Vieles gleichzeitig achten. Da gerät die politische Entwicklung in den Hintergrund. In diesem britischen Simulationsspiel geht es satirisch um die Macht der Medien.
Eigentlich sind wir nur die Putzkraft im Fernseh-Studio des Senders. Doch unser Boss bittet uns am Telefon, heute die Regie zu übernehmen. Schritt für Schritt lernen wir die einzelnen Handgriffe kennen. Wir müssen im richtigen Moment ins Studio der „National Nightly News“ schalten, zwischen den Kameraperspektiven hin und her wechseln, Schimpfwörter zensieren und Störungen im Signal verhindern. Machen wir unseren Job gut, gehen die Einschaltquote und unsere Bewertung nach oben. Machen wir ihn allzu schlecht, sinkt die Quote. Im Extremfall werden wir rausgeworfen.

Im Regieraum gibt es eine Menge zu beachten: Die vier Kameraeinstellungen, der Zensur-Knopf, der Störungs-Pegel und so weiter.

Der betrunkene Parteivorsitzende


Unser Regieraum und die Sendungen sind in einer Achtzigerjahre-Ästhetik gehalten. Auch die Hintergrundgeschichte, die sich im Lauf der Zeit entfaltet, spielt in einer alternativen Version der Achtziger. Das Spiel beginnt mit dem Wahltag. Eine neue Partei hat die Wahl gewonnen und verspricht weitreichende Veränderungen. In ihrer Antrittsrede kündigen die Vorsitzende und ihr Mitvorsitzender an, die Reichen zu enteignen. Der Vorsitzende hat sich „ein paar Siegerbierchen gegönnt“, er hält einen Bierkrug in der Hand. Seine Schimpfwörter müssen wir mit dem Zensur-Knopf überpiepsen.

Im zweiten Kapitel beginnt die Regierung, mehr Einfluss zu nehmen. Während anfangs nur der aggressive Sozialismus der Regierung deutlich wurde, wird jetzt auch ein totalitärer Zug erkennbar. Ein Brief flattert ins Haus. Sie erheben Daten über uns in einem Fragebogen. Dieser ähnelt einem Bewerbungsgespräch, jedoch werden auch einige Fragen über das Privatleben gestellt. In einer weiteren dialogischen Text-Sequenz müssen wir entscheiden, ob wir unserem Schwager helfen. Sein Pass wurde von der Regierung konfisziert. „Keine Regierung sollte diese Macht besitzen“, sagt er.

Für sauer verdiente Punkte können wir uns am Ende des zweiten Kapitels Ausstattung für den Arbeitsplatz kaufen.

Wir bekommen Anweisungen unseres Vorgesetzten. Er macht deutlich, dass Bürgerinnen und Bürger durch unsere Entscheidungen beeinflusst werden. Wir bekommen im Laufe der Nachrichtensendung zwei alternative Bilder zur Unterlegung von Themen zur Auswahl vorgelegt. Das Thema Sicherheit kann mit einem Bild der Polizei oder von Demonstrierenden unterlegt werden. Ein Sportstar kann mit seiner Partnerin oder kotzend gezeigt werden.

Little Britain mit Laienschauspiel


Im weiteren Verlauf schalten wir nacheinander zu verschiedenen angeblichen Expertinnen und Experten. Unsere Aufgabe ist es, zwischen Interviewer und Interviewten hin und her zu schalten sowie Schimpfwörter zu überpiepsen. Doch wir können nicht jede Peinlichkeit verbergen. Der Verlauf der Interviews wird immer absurder. Die Ehefrau eines interviewten Rechtsanwalts trennt sich während des Interviews von ihm. Ein Sicherheitsexperte macht Immigrantinnen und Immigranten sowie Homosexuelle für den angeblichen moralischen Verfall verantwortlich. Im Hintergrund kommt ein Sex-Sklave in Lack und Leder aus seinem Büro-Schrank. Die Videos sind der reine Klamauk, es wird sich in jede Richtung lustig gemacht. Dabei ist politische Korrektheit fehl am Platz. Das Spiel erinnert hier an die britische TV-Serie „Little Britain“ – wenn auch mit Laienschauspielerinnen und –schauspielern. Fans des trockenen englischen Humors haben damit sicher ihren Spaß. Für Zartbesaitete ist das aber nichts.

In Dialogsequenzen zwischen den Sendungen stellt das Spiel die politische Dystopie seriös und dramatisch dar

Entscheidungen ohne Auswirkungen


Das dritte Kapitel beginnt mit zahlreichen Dialogsequenzen. Dabei werden verschiedene Perspektiven auf die immer autoritärer werdende Politik aufgegriffen. Als Spielerinnen und Spieler sind wir dazu aufgefordert, uns in verschiedenen Entscheidungssituationen dazu zu positionieren: Machen wir Überstunden oder kümmern wir uns um die Familie? Darf unser Sohn der Jugendorganisation der Regierungspartei beitreten? Große Auswirkungen auf den weiteren Verlauf des Spiels sind jedoch eher nicht zu erkennen.
Matthias Engel
Dieses Spiel wurde getestet von:

Pädagogische Beurteilung:

Multitasking


Das gesamte erste Kapitel des Spiels ist ein Tutorial. Unser Boss gibt uns aus dem Off Anweisungen und erklärt uns, worauf es bei der Auswahl der Kameraperspektiven oder bei der Zensur ankommt. Es sollte immer die Kamera ausgewählt werden, die auf den Sprecher oder die Sprecherin fokussiert, nach höchstens zehn Sekunden sollte die Kamera gewechselt werden und so weiter. Der Zensur-Knopf muss mit zwei Sekunden Verzögerung genau für die Länge des Schimpfwortes gedrückt werden. Unser Chef empfiehlt uns auf die Tonspur zu hören, aber das visuelle Signal erweist sich als hilfreicher. In weiteren Kapitel kommen noch andere Anforderungen dazu. Die vielen Aufgaben parallel im Blick zu halten ist ganz schön anstrengend. Die Fähigkeit zum Multitasking wird stark gefordert. Pausen gibt es während der Sendungen kaum, es gibt keinen Pause-Knopf im Spiel. Der Ton ist komplett auf Englisch, es gibt aber Untertitel auf Deutsch.

Regie im Achtziger-Jahre-TV


Obwohl das Spiel satirisch ist, schafft es auf der technischen Ebene ein recht realistisches Bild des Regie-Jobs in den Achtzigerjahren. Die Spielmechanik des Hauptspiels ließe sich theoretisch einsetzen, um einen Eindruck von Kameraeinstellungen und Regie zu bekommen. Auf vier Röhrenbildschirmen wird das Programm betrachtet, auf zweien wird das Ergebnis präsentiert. Der erste Bildschirm dient der letzten Prüfung und Zensur. Der zweite zeigt mit zwei Sekunden Verzögerung das ausgestrahlte Programm. Die Werbespots werden von VHS-Kassetten eingespielt. Die Inhalte der Sendungen sind aber völlig absurd. Auch das Interferenz-Minispiel in der rechten unteren Ecke des Bildschirms wirkt aufgesetzt.

Grenzwertiges kritisch einordnen


Eine Partei, die sozialistisch und autoritär ist, kann man sich auch heute noch vorstellen. Auch wenn der Realsozialismus heute fast nur noch in Südamerika zu finden ist. Zur Szenerie der Achtzigerjahre passt ein überspitzter Klischee-Sozialismus als Reflexion des Kalten Krieges ganz gut. Irritierend ist die Tatsache, dass das Spiel der autoritären Regierungspartei auch Rassismus zuschreibt. Das passt nicht so richtig ins Bild. Es entsteht insgesamt der Eindruck, dass sich die Entwickler von eigenen politischen Aussagen fernhalten wollen. Das tut dem Spiel nicht unbedingt gut. Es generiert eher ein unrealistisches Bild von politischen Ideologien, weil diese stark verschwommen erscheinen.

In seinem trockenen Humor geht das Spiel leichtfertig mit Rassismus, Antiziganismus, Antifeminismus und Homophobie um. Dabei sind diskriminierende Aussagen nicht immer klar durch Humor gebrochen. In einer Szene spricht ein Sicherheitsexperte von moralischem Verfall durch Migranten. Dann kommt ein Sex-Sklave aus dem Schrank. Daran soll wohl witzig sein, dass der Experte selbst moralisch fragwürdig ist. Er soll als Heuchler entlarvt werden. Die Macher des Spiels bewerten sexuelle Fetische also als moralisch verwerflich. Es findet keine kritische Auseinandersetzung mit dem Rassismus des „Experten“ selbst statt, stattdessen wird der Mann durch eine andere Form der Diskriminierung diskreditiert. Die Medien-Dystopie, die das Spiel simuliert, ist mit dem Spiel selbst ein kleines bisschen zur Realität geworden.

Die Fähigkeit, diese Anspielungen kritisch einzuordnen, sollte etwa ab 16 Jahren gegeben sein. Auch die britische Fernsehserie Little Britain ist in Deutschland ab 16. Für den Einsatz im Schulunterricht ist viel Vorbereitung notwendig, wobei sich Not For Broadcast für die politische Bildung wohl eher wie ein Film besprechen lässt. Eine ernsthaftere Auseinandersetzung mit dem Thema der autoritären Herrschaft findet in den Dialogsequenzen statt.

Fazit:

Erwachsenen und Jugendliche kann die Medien-Satire Spaß machen und einige Denkanstöße liefern. Wegen des rücksichtslosen Humors sollte das Spiel ohne pädagogische Begleitung nicht unter 16 Jahren gespielt werden.
Matthias Engel
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Siehe auch

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Through the Darkest of Times

Dieses ausgezeichnete Strategiespiel macht den Widerstand gegen den Nationalsozialismus spielerisch erlebbar. Mit dem passenden Konzept ist sogar ein Einsatz im Schulunterricht möglich.

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My Child: Lebensborn

In „My Child: Lebensborn“ zieht man ein Adoptivkind groß, das in einem Lebensborn-Heim der Nazis aufgewachsen ist. Auf die Spielenden warten schwierige moralische Entscheidungen.

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Democracy 3

Einmal alle Facetten der Politik steuern – Management-Fans ab 12 Jahren kommen bei dieser Simulation aus dem Tüfteln nicht mehr raus. Democracy 3 ist kein perfektes Abbild von Politik, aber ein Anstoß zum Nachdenken.

Bildnachweise

[1]Not For Broadcast / tinyBuild / Screenshot by spielbar.de[2]Not For Broadcast / tinyBuild / Screenshot by spielbar.de[3]Not For Broadcast / tinyBuild / Screenshot by spielbar.de[4]Not For Broadcast / tinyBuild / Screenshot by spielbar.de[5]Through the Darkest of Times / HandyGames / Screenshot by spielbar.de[6]My Child: Lebensborn / Teknopilot / Pressematerial[7]Democracy 3 / Positech Games / Screenshot by spielbar.de