Spielbeurteilung

Spec Ops: The Line

20.11.2012
Das Genre der Shooter zählt zu den populärsten im Games-Bereich. Dennoch verharren die meisten Shooter inhaltlich bei stereotypen Feindbildern und dem einfachen Muster Gut gegen Böse. Spec Ops: The Line ist anders. Dank einer tiefgründigen Story entwickelt der Shooter eine Antikriegsbotschaft.


Der Militär-Shooter Spec Ops: The Line zeigt uns ein unheimliches Szenario. Die Wüstenmetropole Dubai liegt nach einem Sturm unter Sand begraben. Nur die oberen Geschosse der unzähligen Wolkenkratzer ragen noch aus den Dünen hervor. Captain Walker und seine Begleiter Adams und Lugo folgen dem Notsignal der 33ten, einer in Dubai verschollenen Einheit der U.S. Army. Sobald sie die Stadt erreichen, werden sie in Kämpfe verwickelt. Welche Zustände in der Stadt herrschen, ist zunächst unklar. Sie ahnen, dass in Dubai schreckliche Dinge vor sich gehen. Doch wer Freund und wer Feind ist, ist kaum ersichtlich. Schon bald verliert Walker seinen eigentlich Auftrag, die Evakuierung der 33ten, aus den Augen.

Die Spielerinnen und Spieler übernehmen die Rolle von Walker und kämpfen sich im Kampagnenmodus über 15 Kapitel durch die Stadt. Das Geschehen verfolgen sie aus der Third-Person-Perspektive, das heißt sie blicken dem Protagonisten Walker von hinten über die Schulter. Ihre Hauptaufgabe besteht im Ausschalten der zahlenmäßig weit überlegenen Gegner. Dazu nutzen sie alle Waffen, die ihnen die Umgebung zur Verfügung stellt, vor allem Maschinengewehre und Granaten. Als Walker ist es ihnen möglich, den Teamkollegen Adams und Lugo taktische Befehle zu geben. Außerdem können sie in den meisten Kapiteln Geheiminformationen einsammeln, die die nebulösen Umstände in Dubai lüften. Zwischen den Kämpfen bringen Videosequenzen die Hintergrundhandlung voran.

Screenshots

Der Kampagnenmodus von Spec Ops: The Line kann in den aussagekräftigen Schwierigkeitsstufen „Strandspaziergang“, „Kampfeinsatz“ und „Selbstmordmission“ gespielt werden. Daneben sind Mehrspielermodi im Angebot. Über LAN- oder Onlineverbindungen kann miteinander oder gegeneinander gespielt werden.

Die Spielhandlung von Spec Ops: The Line basiert auf dem Roman „Heart of Darkness“ von Joseph Conrad aus dem Jahr 1899, der 1979 als Vorlage für den Antikriegsfilm Apocalypse Now von Francis Ford Coppola diente. Entwickelt wurde Spec Ops: The Line von der Berliner Firma Yager und ist damit eine der größten deutschen Games-Produktionen überhaupt. Die Entwickler beziehen sich ausdrücklich auf Apocalypse Now, weswegen im Zusammenhang mit Spec Ops: The Line von der Presse der Begriff „Antikriegs-Shooter“ geprägt wurde.
Tobias Miller
Dieses Spiel wurde getestet von:

Pädagogische Beurteilung:

Eigentlich könnte Spec Ops: The Line ein schönes Spiel sein. Sanddünen im hellen Licht, mit viel Liebe zum Detail inszenierte Luxushotels und dazu ein Soundtrack, der den Frieden besingt. Doch hinter der ansehnlichen Fassade verbirgt sich ein Militär-Shooter, der Kriegshandlungen und deren Folgen schonungslos darstellt. Bilder von Leichen, explizite Gewaltdarstellungen und Kollateralschäden in der Zivilbevölkerung erschüttern im Spielverlauf. Auch stereotype Bilder von Gut und Böse verschwimmen in Spec Ops: The Line. Damit unterscheidet sich das Spiel sehr von populären Shootern à la „Call of Duty“. Wer spielt, der zweifelt früher oder später daran, das Richtige zu tun. Aus dem Schönen wird beißende Ironie. Das ist ungewöhnlich für das Genre der Shooter.

Besonders auffallend ist der hohe Stellenwert der Story. Schließlich kommt der ein oder andere Shooter ganz ohne Rahmenhandlung aus. Spec Ops: The Line erzählt dagegen eine Geschichte vom Irrsinn des Krieges und von Protagonisten, die den Bezug zur Realität verlieren. Auch die Spielerinnen und Spieler werden vor Entscheidungen gestellt. Töten oder nicht? Andere retten oder doch nur die eigene Haut? Diese Fragen sind gut, führen sie doch dazu, Shooter und die dargestellte Handlung kritisch zu hinterfragen. Jedoch, und das ist ein Manko des Spiels, beeinflussen die Entscheidungen den Spielverlauf mit Ausnahme alternativer Spiel-Enden nicht. Echte Wahlmöglichkeiten und eine nicht-lineare Handlung hätten Spec Ops: The Line mehr Glaubwürdigkeit verliehen.

Auf der rein spielerischen Seite spricht Spec Ops: The Line Fans von Shootern an, mit dem „Strandspaziergang“ kommen aber auch Genre-Neulinge klar. Auf einem vorgegebenen Pfad gilt es systematisch alle Gegner auszuschalten. Schnelligkeit, Präzision und geschickte taktische Anweisungen ans Team sind hier Erfolgsgaranten. Überraschungen gibt es kaum. Die Herausforderungen in den Kämpfen sind zumeist ähnlich und bieten auf Dauer wenig Abwechslung.
Zwar wird Gewalt als legitimes Mittel der Konfliktlösung im Spielverlauf deutlich in Frage gestellt, Gewalthandeln bleibt zum Erreichen des Spielziels aber alternativlos. Deswegen und aufgrund der sehr deutlichen Darstellung von Gewalt eignet sich Spec Ops: The Line ausschließlich für ein erwachsenes Publikum.

Insgesamt ist Spec Ops: The Line ein spielerisch durchschnittlicher Shooter, der aber durch seine Story hervorsticht. Die Antikriegsbotschaft ist deutlich vernehmbar und aus medienpädagogischer Sicht ein bemerkenswerter Schritt in die richtige Richtung. Ob man tatsächlich von einem „Antikriegs-Shooter“ sprechen kann, hängt von den Spielerinnen und Spielern ab. Sie entscheiden für sich, ob sie sich auf die Botschaft einlassen oder Spec Ops: The Line schlicht zielorientiert durchspielen.
Tobias Miller
Dieses Spiel wurde beurteilt von:

Bildnachweise

1 Kommentar

Gerrit Neundorf schreibt:

Da ich nun endlich das Spiel beendet habe und auch alle in der Beurteilung angesprochenen Spiel-Enden „erlebt“ habe, kann ich mich der Beurteilung von Tobias voll anschließen.

Dennoch, gerade weil „Spec Ops: The Line“ anders sein will, gerade weil es den Spielern aufzeigen möchte „Krieg ist kein Spiel“ und das es oftmals kein „Gut und Böse“ gibt, finden sich leider an der Art und Weise wie Yager das vermitteln möchte doch zu viele Kritikpunkte.

Ja, ich finde es gut, dass ein Shooter nicht immer Spaß machen soll! Genau wie jedes andere Kulturgut sollten auch Games gesellschaftliche (aber auch individuelle!) Missstände und Probleme ansprechen und thematisieren dürfen. Viel zu oft wird der Versuch erst gar nicht unternommen, dieses interaktive Medium dazu einzusetzen… Yager geht dies an und dafür gebührt dem Studio Respekt und auch Dank!
Dennoch macht Yager für mich mehrere Fehler, die dann doch zumindest bei mir zu einer gewissen Ernüchterung beitrugen:

1.
Gerne lasse ich mich auf die Konsequenzen meines Tuns – insbesondere in Games – ein… Aber bitte nicht mit dem Holzhammer, wie es in Spec Ops ständig geschieht! Dies ist besonders dann problematisch, wenn man als Spieler bei den wenigen wirklichen Entscheidungssituationen nach besten Wissen und Gewissen und damit moralisch mit sich „im Reinen“ agiert. Hier fehlen die positiven Rückmeldungen, für den Spieler – er soll sich schlecht fühlen, obwohl er alles „richtig“ gemacht hat… Dieser Effekt ist freilich gewollt, nutzt sich aber schnell ab und ich als Spieler bin nur noch genervt von Sprüchen wie „Na fühlst du dich schon wie ein richtiger Held?“ auf dem Ladebildschirm!

2.
Prinzipiell gibt es im Spiel nur eine Situation, die dem Spieler wirklich vorgeworfen werden kann und gerade hier muss sich Yager selbst der größten Kritik stellen! [Ich werde nicht spoilern, die die es gespielt haben wissen was ich meine…] Denn im Gegensatz zu anderen Punkten im Spiel mit echten Entscheidungsmöglichkeiten, kann der Spielende hier nichts anderes tun, als das, was das Spiel im vorgibt – nur um ihm dies am Ende vorzuwerfen?!? Sorry, aber das kam bei mir wie ein hilfloser Versuch an – getreu dem Motto „Wenn er bis hier her noch nichts Verwerfliches getan hat – oder später noch tut -, dann erwischen wir ihn damit auf jeden Fall“…

3.
Yager geht davon aus, dass es viele unreflektierte Spieler gibt, denen man den Spiegel, was ihr Spielverhalten angeht, vorhalten muss. Das mag sein, aber im Gegensatz zum Studio (ich unterstelle einfach mal ;)) gehe ich nicht davon aus, dass die Mehrzahl der erwachsenen Spieler denkt „Krieg ist so cool und spaßig wie Games“ – sondern eher, dass Spiele mit aktuellen Bezügen von ihnen gespielt werden, ohne wirklich über weltpolitische Probleme zu reflektieren… (das müssen sie ja auch nicht, aber ICH würde es mir wünschen und spreche es daher auch gerne in Projekten mit Jugendlichen an)

4.
Anschließend daran ist es gerade für die Medienpädagogik (da dies oben von Tobias angesprochen wurde) schade, dass Yagar seinen moralischen Holzhammer mit Gewaltdarstellungen garniert, die dafür sorgten, dass das Spiel nur Erwachsenen zugänglich ist… Klar gehört diese Gewalt zum Inhalt des Spiels, aber so können die Intentionen des Spiels, gerade was die moralischen Entscheidungen angeht, nur mit Erwachsenen (wenn ich das Spiel „als Medium zur Methode“ einsetzen möchte) bearbeitet werden. Jugendliche sind hier in meinen Augen viel eher als Zielgruppe zu definieren, um z.B. in der politischen Arbeit über Krieg, Gewalt und deren Folgen reflektieren zu können… Die zum Teil bewusst drastisch in Szene gesetzten Gewaltdarstellungen verhindern dies nun – schade… Ein „Mass Effekt“ schafft hier mit seiner Altersfreigabe ab 16 und den „wirklich“ Story relevanten moralischen Entscheidungen viel mehr Potential.

5.
Allgemein glaube ich, dass es mit Spielen wie „The Walking Dead 1-5“; „Deus Ex: Human Revolution“ und dem schon angesprochenen „Mass Effect 1-3“ bessere Spiele gibt, die einem die Konsequenzen des eigenen Handelns aufzeigen, ohne dabei dem Spielenden ständig die Moralkeule um die Ohren zu hauen!

Dennoch! Ich kann mir auch gut vorstellen, dass die eine oder andere Jury – gerade hier in Dtl. sich von der Idee und den für sie zusammen geschnittenen Spielszenen entsprechend beeindrucken lässt. Und das ist auch gut so! Das Kulturgut Computerspiel braucht solche Ansätze… Das diese verbesserungswürdig sind tut dem keinen Abbruch! Im Gegenteil sie machen Hoffnung auf mehr…

16.12.2012 um 20:08


Schreib einen Kommentar

* Pflichtangaben