Geschichtsfestival „WAR OR PEACE“

Erster Weltkrieg im Spannungsfeld der Erinnerungskulturen

20.11.2018
Wie wird der Erste Weltkrieg in Computerspielen dargestellt und was macht das mit unserem Geschichtsbild? Eine Frage, die man nur für sich selbst vor dem Hintergrund eigener Erfahrungen beantworten kann. Eine internationale Workshopgruppe beim Geschichtsfestival „War or Peace“ brachte verschiedene dieser Einzelperspektiven zusammen.

In diesen Tagen jährte sich das Ende des Ersten Weltkriegs zum hundertsten Mal. Zweifellos ein Wendepunkt der europäischen Geschichte, der sich von Land zu Land ganz unterschiedlich auswirkte. Entsprechend verschieden sind Erzählungen aus dieser Zeit. Die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) versammelte junge Menschen aus ganz Europa zum Geschichtsfestival War or Peace – Crossroads of History 1918 | 2018. Ein Ziel: Narrative und Perspektiven zu den Konsequenzen des Krieges gegenüber zu stellen.

Kern des Campusprogramms im gastgebenden Maxim Gorki Theater waren ca. 20 Workshops mit ganz unterschiedlichen Zugängen zum Thema. Computerspiele standen im Mittelpunkt des bpbspielbar-Workshops „Representation : Glorification“, der sich mit Spieldarstellungen des Ersten Weltkrieges im Spiel beschäftigte. Der Untertitel „Deconstruction the Conceptions of History in Digital Games“ machte klar, dass es hier nicht ums bloße Spielen ging. Die Teilnehmenden untersuchten die Inhalte kritisch und deuteten sie aus ihrer persönlichen Sicht.

Computerspielanalyse für Fortgeschrittene


Der Ausgangspunkt bildete die Frage nach den historischen Setting in Computerspielen. Hierbei ging es nicht um einen bloßen Faktencheck, sondern darum, welche Geschichtsbilder in Spielgenres wie Shooter, Simulationen, Adventures oder Strategiespielen eine Rolle spielen und wie diese implizit unsere Wahrnehmung beeinflussen können. Die 90er-Jahre Flugsimulation „Red Baron 3D“ etwa romantisiert den Luftkrieg und seine Bedeutung. „Valiant Hearts“ dagegen erzählt frontübergreifende Familiengeschichten. Der populäre Shooter „Battlefield 1“ präsentiert uns – im Kampagnenmodus – ausschnitthaft Heldengeschichten. Und Strategiespiele wie „Making History: The Great War“ abstrahieren das Geschehen auf einem Spielbrett und lassen den Verlauf offen.

Freddie ist einer der Protagonisten in Valiant Hearts, das von fiktiven, aber realistischen Einzelschicksalen im Krieg erzählt. Der Comicstil distanziert einerseits vom Kriegsgeschehen, arbeitet andererseits die Tragik der Schicksale der Figuren besonders heraus.


Im dreitägigen Workshop arbeiteten 13 jungen Menschen aus neun Ländern zusammen. Ihre Aufgabe war, den Bogen von der Analyse der Spiele zu „ihrer“ Erinnerungskultur zu schlagen. Gemeint sind damit ihre persönlichen Erfahrungen vor dem Hintergrund der Erinnerungskultur in ihrem Heimatland.

Divergierende Erinnerungstraditionen


Gerade darin bestand die besondere Leistung der Teilnehmenden. Einerseits deckten sie die großen Unterschiede der nationalen Erinnerungstraditionen auf, denn die Kenntnisse der Kriegsschauplätze wichen stark voneinander ab, ebenso wie die gängigen Bewertungen der Ereignisse im jeweils nationalen Kontext. Andererseits abstrahierten sie ihre persönlichen Erfahrungen hin zu Querschnittsthemen. Die wiederum fanden sich in den Computerspielen repräsentiert und ermöglichten allen Teilnehmenden der Workshopgruppe einen persönlichen Zugang, unabhängig vom Herkunftsland. Konkret erarbeiteten sie in Kleingruppen diese Themen:

  • Die Stereotype, die im Spiel bzw. durch die Spielenden reproduziert werden („The Wheel of Prejudice“)
  • Die Diskrepanz zwischen Leid erfahren und Leid im Spiel zufügen („Suffer // Fun“)
  • Die mediale Repräsentation historischer Elemente („The Real Story“)

Ein Anliegen des Workshops – wie des ganzen War or Peace-Geschichtsfestivals – war es, die vor Ort entwickelten Ideen und Konzepte auch für ein größeres Publikum anschlussfähig zu machen. In „Representation : Glorification“ entstanden dafür Exponate, die auf einer Werkschau der interessierten Öffentlichkeit präsentiert wurden.

Denkanstöße für die politische Bildung


Eine Gruppe konstruierte ein drehbares Rad, das durch eine kameraartige Öffnung beobachtet werden konnte. Das Rad trug mehrere Abbildungen, die stereotype Vorstellungen über den Krieg zeigten sowie eine verspiegelte Fläche, die Beobachten selbst zum Teil des Reproduktionsrades machten.

The Wheel of Prejudice (Twitter-Video)
Remembering the First World War through video games is no simple task, especially when commemorative culture is so diverse and different, and in our reflection we often replace the truth with the stereotype. So how do we read history through games? We invite you to question the ways in which games show us our own stereotypes, and to challenge them as you spin the wheel and discover for yourself how we engage games and how they engage us.


Suffer // Fun als Exponat zum Anfassen im Rahmen der Ausstellung von „War or Peace“.
Eine zweite Gruppe entwickelte einen Schaukasten, den man sich auf den Kopf setzen und so in digitale Spiele eintauchen konnte. Spielszenen im Innern zeigten sowohl Momente des Leids und Prinzipien des Spielspaßes.

Suffer // Fun
Is it morally just to experience fun during war? Put the box on your head to immerse yourself in the struggle between the fun that games necessarily create and the catastrophic suffering of war that they depict.


Die dritte Gruppe machte es sich zur Aufgabe, die mediale Repräsentation historischer Ereignisse herauszuarbeiten. Ihr Exponat bestand aus einzelnen Pappkisten mit außen angebrachten Spiele-Screenshots. Öffnete man eine der Kisten, zeigte sich ein historisches Bild der jeweiligen ScreenshotdarstellungVergleichsfoto. Die Verknüpfungen zwischen den Kisten symbolisierten die Vernetzung der medialen Erinnerung.

The Real Story
This workpiece aims to visualize the interaction between historic depictions in video games and commemorative culture.
The images, narratives and stories that video game developers share, reflect in the games themselves. These games in turn shape the culture of remembrance in their own way.
The visual representations of the games contrasted by actual war photographies show (futile) attempts to immersively depict a reality that has long since passed, while the entangled strings represent the non-reconstructable complexity of historic reality.


„The Real Story“ im Entstehungsprozess

Die Exponate machten nicht nur die Teilnehmenden besonders stolz, sondern beeindruckten auch Besucherinnen und Besucher der „War or Peace“-Ausstellung im Palais am Festungsgraben in Berlin. Was über das Geschichtsfestival hinaus bleibt, ist der gewinnbringende Austausch unter jungen Menschen aus vielen Nationen. Und die viele Denkanstöße, die sie gemeinsam für sich und die politische Bildung erarbeitet haben.
Tobias Miller
Dieser Artikel wurde verfasst von:

Siehe auch

Nico Nolden (2016):

Geschichtserfahrungen und Erinnerungskultur bei digitalen Spielen

Wie inszenieren digitale Spiele Geschichte? Historiker Nico Nolden legt dar, wie sich geschichtliche Vorstellungen auch in fiktiven Spielen wiederspiegeln und deckt auf, was abseits historischer Fakten in digitalen Spielen verborgen liegt.

Der Erste Weltkrieg in Computerspielen

2014 jährt sich der Beginn des Ersten Weltkriegs zum 100. Mal. Grund für uns, einen Blick auf die Spiele zu werfen, die das Thema aufgreifen. Wer nur Ego-Shooter und Kriegsgewalt erwartet, wird enttäuscht. Denn in den meisten Spielen geht’s ums Fliegen. Und Frieden ist auch nie weit entfernt.

Spielbeurteilung

Valiant Hearts: The Great War

In Valiant Hearts steuern wir vier Akteure durch Schützengräben, Kasernen und Höhlen – ganz ohne Fadenkreuz oder Lebensbalken. Nicht reißerisch, sondern einfühlsam macht das Rätsel-Abenteuer persönliche Schicksale im Ersten Weltkrieg erlebbar.

Bildnachweise

[1]Tobias Miller / spielbar.de[2]Valiant Hearts / Ubisoft (Pressematerial)[3]Tobias Miller / spielbar.de[4]Tobias Miller / spielbar.de[5]„Fokker DR 1 ILA 2004“ von Noop1958 - Eigenes Werk[6]Ubisoft / Valiant Hearts / Screenshot