spielbar-Jugendredaktion

Auch ein Escape-Room kann politisch sein

04.11.2017
Was bestimmt unser Denken? Auf welcher Grundlage fällen wir Entscheidungen, die auch unsere Sicht auf andere Menschen betreffen? Mit diesen Fragen beschäftigt sich das Live-Escape-Angebot „Auf Mikas Spuren“, das neben kreativen Games das Programm des diesjährigen PLAY17-Festivals bereichert. Wir haben die Macherinnen interviewt.

Die Entwicklerinnen Heidi Ness vom Unternehmen polyspektiv und die Bildungsreferentin Anne Kuhnert entwickelten diesen etwas anderen Escape-Room im Auftrag der Open Knowledge Foundation Deutschland.

Carolin (spielbar-Jugendredaktion): Zunächst einmal allgemein: Was ist Escape the Room?

Heidi Ness (polyspektiv): Das klassische Grundprinzip von Escape the Room ist, abgeschlossener Raum, 60 Minuten Zeit und ein Szenario, in dem ich eine Story verstehen und Rätsel lösen muss. Die Rätsel verzahnen sich ineinander und führen mich von einem Schritt zum anderen, bis ich den Fall löse und die Tür öffnen kann, durch die ich den Raum wieder verlassen kann.

Carolin: Euer Escape-Room ist aber ja ein bisschen anders. Was unterscheidet euer Projekt von den gängigen Escape-Rooms, die man vielleicht schon kennt?

Anne Kuhnert (freie Bildungsreferentin): Der Unterschied bei uns ist, dass wir Escape the Room mit politischen Bildungsinhalten kombiniert haben. Wir versuchen, über politische Themen zu informieren, ohne frontalen Unterricht zu machen. Wir fragen uns, wie wir Wissen aneignen können und wie wir uns mit Themen auseinander setzen können, ohne dass wir es merken. Am Ende haben wir das mit Escape the Room verbunden.

Heidi Ness: Das zentrale Anliegen ist, dass die Teilnehmer sich selber beobachten, sich selber auf die Schliche kommen, wie sie fühlen, denken und reagieren. Eigentlich wird erst am Ende klar, was eigentlich passiert ist, wenn das Szenario aufgelöst wird. Dann verstehen die erst, dass da etwas im Kopf passiert ist.

„Es gibt also immer so ein spannungsgeladenes Gewusel und jeder macht irgendwas.“


Carolin: Warum habt ihr euch genau für das Format Escape the Room entschieden?

Anne Kuhnert: Erstens, weil wir beide selber privat das Prinzip mögen und auch selbst gemacht haben. Zweitens, weil es eine unglaublich tolle Form ist, zu lernen. Weil wir davon überzeugt sind, dass durch Selbsterfahrung sich Sachen oft sehr viel besser verfestigen in einem selbst und man sich eben selber beobachten kann und so Selbstreflexionsprozesse angestoßen werden können schon bei jüngeren Menschen.

Heidi Ness: Es ist auch wirklich eine Chance an Leute ranzukommen, an die wir sonst nicht rankämen. Es hat immer so einen Kitzel. Es hat eine limitierte Zeit, aber man kann relativ viel erfahren in der kurzen Zeit. Und man kann unglaublich arbeitsteilig vorgehen. Die Größen sind zwar begrenzt, aber wir spielen mit einer sehr großen Zahl, mit Gruppen bis zu 30 Personen. Die teilen wir dann aber auch wieder in vier Untergruppen auf. Aber auch in diesen Untergruppen mit bis zu 8 Personen können alle irgendwas machen, weil überall Rätsel stecken könnten oder auch etwas zu finden ist. Es gibt also immer so ein spannungsgeladenes Gewusel und jeder macht irgendwas.

Carolin: Wer ist denn genau eure Zielgruppe, wen wollt ihr ansprechen?

Anne Kuhnert: Ausgehend von der Open Knowledge Foundation ist das Projekt ausgeschrieben für 12- bis 21-Jährige. Diese Altersklasse muss aber keinen vorgeschriebenen Hintergrund oder bestimmte Vorerfahrungen haben. Wir richten uns an Einrichtungen der außerschulischen Bildung und Gruppen, die sich dafür interessieren, aber natürlich auch Menschen, die noch gar nicht so viel Berührung mit den Themen hatten. Im öffentlichen Diskurs gibt’s ja schon bestimmte Sozialräume, wo man stereotyp denkt, wo man denkt, da könnte es ein bisschen wichtiger sein. Natürlich haben wir auch vor Augen, dass wir grade in Sozialräume gehen, um Menschen anzustupsen, die sich bisher vielleicht unkritisch mit populistischen Inhalten auseinandergesetzt haben. Aber grundsätzlich sind wir offen für alle Regionen und Räume.

Jede Kleinigkeit kann im Escape-Room ein entscheidender Hinweis sein


Carolin: Wie waren die Reaktionen auf den Escape-Room?

Heidi Ness: Viel Spaß, viel Spannung. Natürlich gab es am Schluss schon einen Stolpereffekt, weil sie merkten, dass sie sich viel mit Inhalten auseinandersetzen sollten. Das ist natürlich nicht das klassische Escape-the-Room-Erlebnis, aber das sagen wir ihnen ja vorher nicht, sonst würde das Prinzip nicht mehr funktionieren. Von daher hat es einen kleinen Irritations-Moment, aber die Rätsel funktionieren und der Spaßfaktor ist der gleiche.

Carolin: Ihr seid mit dem Projekt mobil durch ganz Deutschland unterwegs. Wie schafft ihr es, einen ganzen Raum durch ganz Deutschland zu transportieren?

Heidi Ness: Es gibt einfach unglaublich fantastische Dinge. Für zwei Gruppen passt alles zusammen in zwei Umzugskisten, wenn man mit vier Gruppen spielt, bräuchten wir noch eine dritte. Es gibt fast jedes Möbelstück zum Klappen und zum Aufblasen. Dank Camping kriegt man alles auch in kleiner Form.

Carolin: Müsste eine Schule dann noch etwas bereitstellen?

Anne Kuhnert: Klassische Elemente wie Stühle und Tische oder auch ein Regal brauchen wir einfach von den Veranstaltungsorten. Wir gehen davon aus, dass es in Schulräumen oder auch Jugendeinrichtungen immer einen Raum gibt, wo zumindest auch eine Sache drin steht. Wenn wir dann auch noch die Möglichkeit haben, mit Stellwänden zu arbeiten, dann haben wir schon alles, was wir brauchen.

Heidi Ness: Die Grundidee zusammen mit der Open Knowledge Foundation ist auch, dass das später dann zur Verfügung steht im Sinne von Open Source. Es soll abgerufen werden können und es müssten wahrscheinlich nur Kosten für den Transport und eine Anleitung getragen werden. Aber grundsätzlich soll es zur Nutzung bereitstehen.

Auf Mikas Spuren mehr über das eigene Denken und Fühlen erfahren


Carolin: Wie kamt ihr eigentlich auf die Geschichte rund um Mika?

Heidi Ness: Mika ist 17 und kann männlich oder weiblich sein. Die Grundidee war, dass das nah an den Jugendlichen sein muss, also an der Altersgruppe 12 bis 21 Jahre. Es muss gruselig sein können. Deshalb ist Mika verschwunden und man weiß nicht, was passiert sein könnte. Wir haben lange überlegt, welche Szenarien wir reingeben wollen. Wollen wir etwas ganz Alltägliches machen, oder wollen wir doch in politischere Fragen reingehen? Und haben uns dann schließlich auch für das Politische entschieden. Wir zeigen die verschiedenen Pisten auf, im Sinne von Rechtsextremismus und Salafismus, um die Leute ihre gängigen Klischees entdecken zu lassen und aufzuzeigen, dass man in beide Richtungen oft zu schnell urteilt.

Die Demokratielabore sind ein Modellprojekt der Open Knowledge Foundation Deutschland, das vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Rahmen des Bundesprogramms Demokratie leben! gefördert wird.

Wer sich für diesen besonderen Escape-Room interessiert und ihn vielleicht auch mit einer Jugendgruppe durchführen möchte, kann sich bei den Demokratielaboren weitere Informationen einholen.
Platzhalter
Dieser Artikel wurde verfasst von:
Carolin Martin (spielbar-Jugendredaktion)

Siehe auch

Live Escape Games:

Ein Team, ein Raum, eine Stunde Zeit zu entkommen

Ein Raum, 60 Minuten Zeit zu entkommen. In Live Escape Games werden spannende „Escape the room“-Situationen in der realen Welt umgesetzt. Dafür muss man im Team zusammenarbeiten, Hinweise sammeln und Rätsel lösen – wie in einem Computerspiel. Wir stellen die realen Videospielszenarien vor.

Bildnachweise